© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/21 / 03. Dezember 2021

Und täglich grüßt die Spritze
Israel steht vor dem zweiten Booster / Omikron könnte den Impfschutz aushebeln
Mathias Pellack

Das Omikron ist ein griechischer Buchstabe aus der Mitte des Alphabets und steht für „kleines O“. So heißt die neueste als „besorgniserregend“ eingestufte Variante B.1.1.529 des die Welt seit zwei Jahren in Atem haltenden Coronavirus Sars-CoV-2. Ein wichtiger Aspekt, warum das Virus uns so in Schrecken versetzt, ist die Tatsache, daß es für unser Immunsystem neu war und für viele immer noch ist. Zum Schutz der Bürger unter dem Eindruck prägender Bilder aus China und Italien und in Unkenntnis über die tatsächliche Gefährlichkeit des Virus haben viele Staaten weltweit präventive Kontaktreduktionen und kollektive Lockdowns erlassen. Doch wie gut ist die Immunität heute verbreitet – unter Genesenen und unter Geimpften? Wie hoch ist der Antikörperschutz Monate nach der Boosterung? Und wie viele besorgniserregende Varianten stehen uns noch ins Haus?

Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir zuerst noch ein paar Grundlagen auffrischen. Die Immunabwehr wird beim Eindringen eines potentiellen Krankheitserregers wesentlich in zwei Phasen aktiv. Zuerst kommt die allgemeine „angeborene Immunantwort“. Diese ist permanent aktiv und kann innerhalb von Stunden ein ganzes Feuerwerk an Gegenmaßnahmen zünden, alle möglichen Fremdkörper und Erreger neutralisieren, ausschalten oder vernichten. Welche Maßnahme es wählt, hängt vom jeweiligen Erreger ab.

Antikörpertests können ein Stück Freiheit zurückgeben

Das aktuelle Pandemievirus Sars-CoV-2 kann eine dieser Abwehrmaßnahmen aber sogar zu seinem Vorteil nutzen, wie eine Charité-Studie zeigt. Findet der Organismus Viren, schüttet er einen Botenstoff aus, der unter anderem die Schleimhautzellen (Epithelzellen) des Körpers dazu bringt, mehr der sogenannten ACE2-Rezeptoren auszubilden. Diese regulieren eigentlich verschiedene Körperfunktionen wie den Blutdruck. Sars-CoV-2 nutzt diese ACE2-Rezeptoren aber als Einstiegspforte in die Zellen. Erst dort angekommen, kann es die Zelle kapern und dazu bringen, neue Viruskopien anzufertigen. Viel ACE-2 bedeutet also viele Möglichkeiten für das Virus anzudocken und den Wirt krank zu machen.

Uns interessiert aber vor allem die zweite Phase: die „erworbene Immunantwort“. Hiervon ist der politisch relevante Immunstatus abhängig. Wer hier spezifische Antikörper in einem Labortest nachweisen kann, muß sich nur einmal impfen lassen, um unter der in vielen Bereichen geltenden 2G-Regel wieder an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen oder die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen zu dürfen. 

So lautet zwar die Regel, doch im Einzelfall stimmt sie nicht – dazu aber später. Die für den Immunstatus interessanten Antikörper heißen etwa Sars-CoV-2 IgG (S) oder Sars-CoV-2 IgM (S). „Sars-CoV-2“ bezeichnet das Virus für, das sie spezifisch sind, und „IgG“ oder „IgM“ steht für Immunglobulin vom Typ G oder vom Typ M. Typ M ist ein Antikörper, der innerhalb von Tagen nach der Infektion gebildet wird und schnell wieder verschwindet. Auch ist IgM reaktionsfreudiger und zeigt teils Infektionen mit anderen Coronaviren an. IgG ist spezifischer, wird aber später gebildet und verbleibt dafür länger im Blut. 

Diese Immunglobuline binden an bestimmte Regionen eines Erregers – die in Klammern angegeben werden, wie zum Beispiel das Spike-Protein (S). Ein Labor-Antikörpertest bestimmt dann die Menge der spezifischen Antikörper. Liegt dieser Wert über einer Unit pro Milliliter (Einheiten pro Milliliter; U/ml), stellt der testende Arzt einen positiven Befund aus. Eine gewisse Immunität ist also vorhanden. 

Bis zum Wert von fünf U/ml geht der Arzt von einem schwachen Immunschutz aus. Zwischen 6 und 45 Einheiten pro Milliliter liegt eine „Grauzone“, in der der Immunschutz unterschiedlich ausfällt, weil auch noch andere Faktoren wie zum Beispiel T-Zellen dafür wichtig sind. Erst über 45 Einheiten pro Milliliter wird standardmäßig ein starker Immunschutz attestiert. Hier sind also Antikörper durch eine Infektion oder durch eine der gängigen Impfungen vorhanden. Die Mehrzahl der Impfungen zielt darauf ab, das Immunsystem mit kleinen Kopien des Spike-Proteins zu trainieren.

Übrigens, wer seinen Antikörperstatus testen läßt und zu einem positiven Ergebnis gelangt, kann das bei Telemedizinern wie dransay.com hinterlegen und dafür ein Genesenen-Zertifikat bekommen. In Deutschland muß nach einem Antikörpertest allerdings noch eine Impfung erfolgen, um einen „rechtsgültigen Immunschutz“ (Bundesministerium für Gesundheit) zu erlangen. Hintergrund ist die früher mittelmäßige Qualität der Antikörpertests. In der Schweiz dagegen werden Blut-Antikörpertests als vollständiger Ersatz für die Impfung anerkannt. Schweizer mit positivem Ergebnis können sich so 90 Tage unter der 3G-Regel freitesten. Danach ist eine erneute Testung möglich. Das Zertifikat wird aber im Gegensatz zu einem Impf- oder Genesungszertifikat in der EU nicht anerkannt.

Die Wahrscheinlichkeit, daß jemand in Deutschland schon Antikörper hat, ohne geimpft zu sein, ist inzwischen gar nicht mehr gering. Die jüngste verfügbare Studie aus dem Großraum Magdeburg zeigte, daß bereits im Frühjahr 2021 sechs Prozent der Ungeimpften Antikörper hatten – also eine Infektion durchgemacht haben. Der Wert wird seither um ein paar Prozent gestiegen sein, so daß vielleicht schon einer von zwölf Ungeimpften Antikörper aufweist.

Der Antikörperstatus der Geimpften und Genesenen ist wiederum aus einer anderen Perspektive interessant. Während sich zeigen läßt, daß eine geboosterte Person nicht nur das Antikörperlevel eines frisch vollständig Geimpften wieder erreicht, sondern ein bedeutend höheres Level, sprechen Impf-Propagandisten wie Karl Lauterbach (SPD)  bereits davon, daß man „eigentlich“ erst nach der dritten Spritze vollständig geimpft sei.

Derartige Aussagen suggerieren wie beim Aufkommen der Impfung einen finalen Schlag gegen das Sars-Virus. Es konnte allerdings schon gezeigt werden, daß auch nach der dritten Impfung der Antikörperspiegel wieder beginnt abzufallen. Und daß auch wieder keine sterile Immunität erreicht werden kann, wenngleich die Weitergabewahrscheinlichkeit abermals verringert ist. Israels Behörden bereiten daher die Verabreichung der zweiten Boosterung – also der vierten Impfdosis – vor.

Der Pandemie-Management-Beauftragte der israelischen Regierung, Salman Zarka, sagte dem öffentlich-rechtlichen Sender Kan, er glaube, Israel erlebe bereits den Beginn der fünften Welle. Damit habe man nicht gerechnet, so Zarka. Er habe eher eine neue, aus dem Ausland importierte Variante erwartet, die Probleme bereiten könnte. In Israel ist aber nach wie vor die Delta-Variante vorherrschend, auch wenn bereits erste Fälle von Omikron registriert wurden.

„Besorgniserregende Variante“ ruft bisher milde Covid-Verläufe hervor

Omikron hat nun Chancen, die Erfolge der Impfung zunichte zu machen, die erworbene Immunität fast der Hälfte der Weltbevölkerung (so viele Menschen wurden bereits geimpft) zu umgehen und eine große Gesundheitsgefahr darzustellen. 

Allein: Bis auf die Tatsache, daß Omikron tatsächlich viele Mutationen aufweist, gibt es kaum Hinweise auf eine erhöhte Mortalität. Im Gegenteil berichteten mehrere südafrikanische Ärzte übereinstimmend, daß die Variante keine schweren, sondern eher milde Verläufe hervorruft. Doch bisher ist die Datenlage sehr dünn, und es gilt vielen Staatslenkern das Credo: Vorsicht ist besser denn Nachsicht, denn die höhere Übertragungsrate, die Omikron nachgesagt wird, könnte trotzdem eine Gefahr werden, da die Variante somit noch leichter Vulnerable erreichen könnte.

Das dürfte auch der Gedanke der WHO bei der Namensvergabe gewesen sein. Da die Weltgesundheitsorganisation immer wieder große Spendensummen von China erhält, so spekulieren viele, habe sie bei der Namensvergabe die griechischen Buchstaben Nü und Xi übersprungen. Xi sei ein gebräuchlicher Familienname, und Nü sei dem englischen Wort für „neu“ zu ähnlich, lautet die offizielle Begründung. Ob uns das nicht nur dem Buchstaben Omega, sondern gleich dem Ende der Corona-Pandemie näher bringt, darf getrost bezweifelt werden.

Labor-Antikörpertest für zu Hause: www.laborberlin.com

 Kommentar Seite 2

Foto: Impfpaß mit drei eingetragenen Corona-Impfungen: B.1.1.529 ist bereits in Deutschland