© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/21 / 03. Dezember 2021

Von wegen Steine kloppen
In deutschen Gefängnissen werden mittlerweile „Lifestyle“-Artikel produziert
Martina Meckelein

Die Zeiten, in denen Gefangene bei Wasser und Brot in ihren Zellen darbten und Tüten klebten oder, wenn überhaupt, Richterroben nähten, sind schon lange vorbei. Heutzutage wird in vielen der 179 Justizvollzugsanstalten in Deutschland geschmiedet, gepolstert, geschreinert und ja, auch immer noch genäht. Die Produkte kann jedermann kaufen. Dazu muß niemand ans Gefängnistor klopfen. Wir alle können sie bestellen, via Internet.

Die Internetseite haftsache.de der bayerischen Justiz kommt so edel daher, als sei sie eine Sonderbeilage des legendären Manufactum-Katalogs. Genau wie in ihm findet der qualitätsbewußte Kunde hier die handgeschmiedete Stahlpfanne, die er schon immer für sein Zweitdomizil auf Sylt oder in Kitzbühl suchte. Und die ist garantiert „Made in Germany“. Für den sich eher weiter links im politischen Spektrum verortenden, zu gewissen Wohlstand gekommenen St. Paulianer aus dem gentrifizierten Karolinenviertel bietet das Hamburger Knacki-Label „Santa Fu“ passende taillierte T-Shirts an. Den Jutebeutel mit der Aufschrift „Beute“ gibt es in dazu passenden Farbnuancen.

„Jedes verkaufte Produkt hilft Menschen, die Opfer von Kriminalität und Gewalt wurden!“, stellt die Hamburger Justizbehörde auf ihrer Seite „Santa-Fu – Heiße Ware aus dem Knast“ klar. „Bei allen verkauften Produkten fließt ein Teil des Erlöses an den Weißen Ring e. V., der damit Opfern von Verbrechen hilft, ihnen Behandlungen oder Entschädigungen zahlt und vieles mehr. Die Gefangenen erleben ihre Arbeit dadurch auch als persönliche Wiedergutmachung.“ Na, ob dem so ist?

Ganz sicher ist Gefangenenarbeit ein moralischer Ritt auf der Rasierklinge. Häftlinge sind in Deutschland zur Arbeit verpflichtet, und das zu einem lächerlich geringen Stundenlohn von um die zwei Euro. Sie können während ihrer Haft auch nicht in die Rentenkasse einzahlen, dafür behält die JVA den Arbeitgeberanteil der Arbeitslosenversicherung ein. „Dadurch haben die Gefangenen nach der Entlassung einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe“, so das Justizministerium in Hessen. Nun, Kritiker dieser geringen Entlohnung vergessen schnell, daß dafür Kost und Logis frei sind, dafür kommt nämlich zwangsweise der Steuerzahler auf.

Humor bei den Produktnamen

Hinter den schwedischen Gardinen Deutschlands wird seit Jahrhunderten schwer gearbeitet. 1871 wurde endlich im Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) eine klare und einheitliche Regelung des Freiheitsentzuges durchgesetzt. „Sowohl Zuchthaus als auch Gefängnis waren immer mit Arbeitspflicht gekoppelt“, so Hannes Böhme in seiner Bachelorarbeit „Anteile der Gefangenenarbeit an der Resozialisierung des Menschen – Wegweiser in ein straffreies Leben oder Euphemisierung eines Grundproblems?“ Wir erinnern uns noch an den Aufschrei, als bekannt wurde, daß Ikea ab den siebziger Jahren Vorprodukte durch politische Häftlinge des DDR-Regimes fertigen ließ. Ein kapitalistisches Unternehmen profitiert von der durch einen sozialistischen Unrechtsstaat verhängten Zwangsarbeit.

Ikea entschuldigte sich später. Von Zwangsarbeit durch einen kriminellen Staat kann in unseren Gefängnissen allerdings nicht die Rede sein. Und insofern ist die offensive und transparente Werbung der Justizbehörden der Länder der richtige Weg. Denn auch dadurch wird mit einem Vorurteil aufgeräumt: Eben, daß Gefangene nur auf der faulen Haut lägen. Ganz im Gegenteil. Wer diese Produkte sich anschaut, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das ist Handwerk.

Und nicht nur das. So nennen sich die Labels teils selbstironisch, teils selbstbewußt: „Gitterladen“, „Haftwerk“, „Knastprodukt“. Und auch dem Charakter des einzelnen Bundeslandes wird Genüge getan. Hamburg kommt mit seinem „Santa Fu“ (eine Verballhornung der behördlichen internen Abkürzung St. Fu für die Strafanstalt Fuhlsbüttel) und Produkten wie den Spielen „Knast, Land, Fluß“ oder „Alaarm!“ schnodderig daher. Der absolute Renner soll laut Anstaltsleitung das Kochbuch „Huhn in Handschellen“ von Tim Mälzers Mutter sein. Sachsen wiederum bietet Räuchermännchen in Häftlingskleidung an – und natürlich Schwibbbögen. Schleswig-Holstein gibt sich ausgesprochen naturnah. Aus der JVA Kiel gibt es alles, was des Gärtners Herz höher schlagen läßt: Insektenhotels, Vogelhäuschen, Holzbänke, Markisen.

In Niedersachsen offeriert die JVA Vechta für Frauen unter der Marke „Justiz-Irrtum“ Sanddorngelee und Likörchen aus derselben Frucht. Allerdings muß der, da keine Abgabe an Personen unter 18 Jahre, doch direkt an der Gefängnistür, respektive im Knastladen persönlich gekauft werden. Wer also noch ein Weihnachtsgeschenk braucht, dem sei ein Blick auf die Internetseiten angeraten.

 santa-fu.de

 jva-shop.de

 haftsache.de

Fotos: Vierteiliges „Pflege-Set „Bleib sauber“: Wort- und Chiffrenspiele; Haftsache: Die „Männerhandtasche“ als perfektes Geschenk für Herren; Klassiker aus der JVA: Küchenhandtücher