© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/21 / 03. Dezember 2021

Der Flaneur
Ratten im Salat?
Claus-M. Wolfschlag

Kurz vor Ladenschluß noch an die Fleischtheke. Ah, der leckere Wurstsalat mit Paprika ist noch da. „Wieviel zu nehmen raten Sie mir? Ein kleines oder mittleres Schälchen?“ frage ich.

Die Verkäuferin lächelt milde: „Ein kleines ist für Kinder. Von einem mittleren würde ich nicht satt werden. Ich und mein Mann nehmen davon stets anderthalb Kilo mit. Allerdings für zwei Tage.“

Immerhin hat sie bei den Thekenprodukten nicht die Selbstversuch-Scheu ihres Kollegen. Einmal verriet er mir, Hunger zu haben und sich nach der Arbeit irgendwo einen Döner zu holen. Auf meine Frage, warum er nicht etwas von seiner Theke mitnehme, antwortete er: „Das ist mein Arbeitsmaterial. Dazu halte ich Distanz.“

„Meine beißen nicht. Wir schmusen, die küssen mich und lecken mir das Ohr.“

Die Fleischverkäuferin rät mir zu einem dreiviertel gefüllten großen Schälchen und gibt noch ein Löffelchen als „Baby“ dazu. Ich schaue auf die Waage und rechne, daß es die Hälfte dessen sein muß, das sie davon täglich ißt.

„Sie sind doch schlank. Man sieht ihnen den Appetit gar nicht an.“ „Gut kaschiert“, lacht sie. 

„Also, ich habe heute noch nicht viel gegessen. Aber ich mache mir Bratkartoffeln dazu“, verrate ich. „Ich habe nur ein Brot und etwas Salat gegessen“, verrät sie.

„Und dann erzählen Sie etwas vom Wurst-Großeinkauf? Sie haben geflunkert, um das Geschäft anzukurbeln.“

„Moment“, lacht sie, „wenn ich gleich um 22 Uhr Feierabend habe, dann geht es erst los. Dann wird aufgetischt. Ich gehe nicht gleich ins Bett, sondern muß mich um meine Tiere kümmern.“

Und sie erzählt, daß sie Ratten und Vögel besäße. „Die sieben Vögel schlafen schon, aber die Ratten wollen jetzt noch Unterhaltung.“ Ich erzähle, daß eine ehemalige Freundin mal eine Ratte als Haustier hatte: „Die hat aber gebissen.“

„Meine beißen nicht. Wir schmusen gleich miteinander, die küssen mich und lecken mir das Ohr.“ Einst wären es neun Ratten gewesen, nun seien es aber nur noch sechs. „Die drei Verschwundenen sind aber jetzt nicht in den Wurstsalat gewandert?“ frage ich. Sie zwinkert.