© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/21 / 10. Dezember 2021

Rücktrittsreigen in Österreich
Zurück in die Zukunft
Robert Willacker

Kürzlich wurde der Wikipedia-Artikel zur Person Sebastian Kurz geändert. Er beginnt nun mit den folgenden Worten: „Sebastian Kurz ist ein ehemaliger österreichischer Politiker.“ Es ist ein lakonischer Befund, der in seiner Nüchternheit jedoch geradezu surreal anmutet. 

Es ist noch nicht lange her, da verband man mit dem Namen Kurz weit über die Grenzen Österreichs hinaus die Hoffnung auf eine neue und erfolgreiche Generation des europäischen Konservatismus. Vier Jahre nach seinem steilen Aufstieg an die Spitze der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und zweier Bundesregierungen zerfällt nun das von ihm und einer Handvoll Anhänger so minutiös geplante und durchgeführte „Projekt Türkis“. Auf Kurz’ Rückzug ins Private folgte ein Rücktrittsreigen von einstigen Getreuen – sowohl innerhalb der Bundesregierung als auch in der Partei. 

Die Ära Kurz ist zu Ende, die politische und juristische Aufarbeitung dieser Zeit wird sich hingegen noch einige Jahre hinziehen. So hat die Opposition etwa vor kurzem den klangvollen „ÖVP-Korruptionsausschuß“ gestartet, und die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft führt eine Liste von Beschuldigten in diversen Verfahren, die man ohne Übertreibung als das „Who is who“ des ÖVP-Umfelds bezeichnen kann. Derweil haben in der Bundespartei wieder die Landesobleute die Macht übernommen und zentrale Posten mit Vertrauten besetzt. Die ÖVP geht zurück in die Zukunft.