© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/21 / 10. Dezember 2021

Alexander Kekulé. Der Epidemiologe bietet in seinem Podcast eine fundierte Kritik an der Politik ohne Übertreibungen.
Der Corona-Kompaß
Mathias Pellack

November 2021, 250. Ausgabe des Podcasts – der Moderator fragt: „Hätten Sie am 16. März 2020 gedacht, daß wir uns heute immer noch mit Corona beschäftigen?“ „Natürlich habe ich das!“ triumphiert Alexander Kekulé. Dann lacht er und räumt entwaffnet seinen Irrtum ein: „Nein, ich dachte, bis Jahresende sei der Kas’ gegessen.“ Tags zuvor hat ein anderer „Corona-Erklärer“, Christian Drosten, erklärt, daß er angesichts der Omikron-Variante „besorgt“ sei. Gegensätzlicher könnte die Gemütslage der Männer kaum sein – dort stets Alarmismus, hier, trotz des Ernstes der Lage, entspannte Nüchternheit. 

Gerade die, gepaart mit Kompetenz dank jahrzehntelangem Erstellen von Pandemieplänen, zieht viele in den Bann des 1958 in München geborenen und in Halle ansässigen Epidemiologen und Hochschullehrers, der auch noch berühmte Vorfahren hat. Der bekannteste ist Friedrich August Kekulé von Stradonitz. Ein Naturwissenschaftler, der im 19. Jahrhundert an den theoretischen Grundlagen der organischen Chemie arbeitete und einen Hinweis auf den Ursprung des Namens Kekulé gibt. Der nämlich nicht wie oft vermutet im Französischen, sondern im Tschechischen liegt und vom Dialektwort „Kykule“ kommt, das „Hügel“ bedeutet. Den Akzent über dem letzten „e“ hat sich Friedrich August selbst gegeben, um die richtige Aussprache in seiner deutschen Heimat zu sichern.

Kekulé fürchtet die Politik nicht und legt den Finger in eine der tiefsten Corona-Wunden der Republik.  

Wie von einem Hügel aus betrachtet der heutige Kekulé die Corona-Lage und grenzt sich damit nicht nur von Drosten, der Virologin Sandra Ciesek oder dem Intensivmediziner und Divi-Chef Christian Karagiannidis ab. Die sind auch häufig in öffentlich-rechtlichen Podcasts zu Gast, lassen ihre Stimmen aber nur aus dem Elfenbeinturm ihrer Disziplinen erklingen. Kekulé dagegen kritisierte das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts und legte den Finger in eine der tiefsten Corona-Wunden der Republik: die miserable Datenerfassung. Die dazu führte, daß eine Minderung der Gefahr durch die Restriktionen nicht zu belegen war. Dennoch habe Karlsruhe „einfach gesagt, aus Sicht des Gesetzgebers erschienen nächtliche Ausgangssperren damals angezeigt“. Obwohl Amtsgerichte diese zuvor kassiert hatten, stellten die Verfassungsrichter der Politik einen „Freifahrtschein“ aus. „Das wird noch eine Diskussion geben“, prophezeit Kekulé.

Immer wieder kommentiert er in seinem Podcast „Kekulés Corona-Kompaß“, der auf der Seite des MDR abgerufen werden kann, die Pandemiedebatte. Jüngst etwa den Vorschlag des Corona-Falken Markus Söder für eine Impfpflicht für Kinder. Stiko-Chef Thomas Mertens (JF 30-31/21) äußerte sich dazu kritisch, sprach von unzureichender Datenlage hinsichtlich der Impf-Langzeitrisiken. Kekulé anerkennt den Schneid Mertens, „ohne Angst vor den Medien“ darauf hinzuweisen. 

Daß die Stiko die Kinderimpfung dann doch befürwortet, sei zu erwarten gewesen, da sie „zu Recht soziale und psychologische Faktoren mit in die Waagschale wirft“, so Kekulé, der auch selbst immer wieder den Hörern zur Impfung rät. Das könnte man zugespitzt als „Impfung gegen die (Corona-)Politik (beziehungsweise) die Gegenmaßnahmen“ nennen. Kurz, die Politik greife zu einer „Ersatzhandlung (...) und Kinder kriegen die Nadel ab“, obwohl „der medizinische Nutzen für sie praktisch bei Null liegt“.