© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/21 / 10. Dezember 2021

Agitation und Propaganda
„Afrozensus“: Eine nicht repräsentative Studie dient als Beweis für einen anti-schwarzen Rassismus in Deutschland
Björn Harms

Wie rassistisch ist eigentlich Deutschland? Und wie stark sind schwarze Personen hierzulande von Diskriminierung betroffen? Mit dem „Afrozensus 2020“ ist in der vergangenen Woche erstmals eine Studie veröffentlicht worden, die den hier lebenden schwarzen Menschen gemäß eigener Aussage eine Stimme verleihen soll. Haben die Personen in Deutschland Diskriminierung erlebt? Und wenn ja, in welcher Form? Die Untersuchung erhebt den Anspruch, „die zahlreichen Facetten intersektionaler Realitäten von Schwarzen, queeren, disableisierten, alten, jungen, ressourcenarmen, materiell privilegierten, inhaftierten, religiösen, atheistischen, nicht-binären Black Lives“ sichtbar zu machen.

Schon an solchen Formulierungen wird deutlich, wo sich das Team um den Sozialwissenschaftler Daniel Gyamerah verortet. Die Forscher der Bildungseinrichtung „Each One Teach One“ (EOTO) und der Denkfabrik „Citizens For Europe“ (CFE), welche die Befragung betreuten, fühlen sich durchweg der „Critical Race Theory“ und postkolonialistischen Ansätzen verbunden. Sie gehen also a priori von einer Opferhierarchie aus, in der die weiße Mehrheitsgesellschaft einen strukturellen Rassismus ausübt und in der Schwarze nicht nur individuell, sondern auch systematisch diskriminiert werden.

Der Afrozensus sei „ein politisches Propaganda-Projekt mehr in der langen, viel zu langen Reihe der politischen Propaganda-Projekte“, erklärt die Migrationssoziologin Heike Diefenbach im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Entsprechende Studien würden „lediglich zeigen, bestätigen oder illustrieren wollen, was von entsprechend geneigter ideologischer Seite als ‘Wahrheit’ verkauft werden soll“. Jene Untersuchungen diskreditierten damit echte wissenschaftliche Projekte, „die versuchen eine Frage zu beantworten, für die grundsätzlich verschiedene Erklärungen in Frage kommen“.

Die Ergebnisse der Studie, die von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes finanziell gefördert wurde, sind also keinesfalls überraschend: Rassismus gegen Schwarze ist in Deutschland allgegenwärtig. Demnach sehen sich etwa zwei Drittel der rund 5.700 Studienteilnehmer aufgrund von rassistischen Zuschreibungen in Schulen und Universitäten schlechter benotet als ­weiße Mitschüler oder Kommilitonen. In Arztpraxen vorgetragene Beschwerden werden laut zwei Dritteln der Befragten nicht ernst genommen. Mehr als die Hälfte gab an, schon einmal grundlos von der Polizei kontrolliert worden zu sein. Auch die Wahrnehmung der Bedrohung an öffentlichen Orten fügt sich in diese Aussagen ein. Laut einer Dimap-Umfrage von 2017 gab eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung an, sich in der Öffentlichkeit am meisten von Ausländern und Flüchtlingen bedroht zu fühlen. Die Afrozensus-Befragten hingegeben gaben an, an öffentlichen Plätzen sich am häufigsten von „Polizei“, „Neonazis oder Rechtsextremen“ und „weißen Männern“ eingeschüchtert zu fühlen. Rund acht von zehn Afrozensus-Befragten befürchten zudem, im öffentlichen Raum beschimpft zu werden.

In vielen Medien – von der Frankfurter Rundschau über die Deutsche Welle bis hin zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung – wird die Studie nun als Beweis gedeutet, wie rassistisch dieses Land ist. Doch sie hat ein entscheidendes Manko: Sie ist überhaupt nicht repräsentativ. Alle Befragten wurden laut Afrozensus nicht per Zufallsstichprobe ermittelt (was aufgrund der ethnischen Komponente auch schwer umsetzbar wäre), sondern mit Hilfe von „15 Schwarzen Organisationen aus sechs Bundesländern“, zahlreichen Einzelpersonen und Antidiskriminierungsstellen erreicht. Die Teilnehmer konnten sich per Einladung auf der Netzseite des Afrozensus anmelden und die Fragen dann online beantworten. 

Es ist eine Umfrage von Aktivisten für Aktivisten

Somit ist klar: Gefragt wurden Personen aus dem Umfeld der „antirassistischen“ Lobbygruppen. „Aufgrund des Samplingverfahrens sind die Ergebnisse des Afrozensus nicht auf die Grundgesamtheit verallgemeinerbar“, geben die Autoren selber zu. Tatsächlich sind 70,3 Prozent der Teilnehmer heterosexuelle Frauen, die meisten im Alter zwischen 20 und 39. Darüber hinaus besitzen 91,9 Prozent der Befragten ein Abitur, 47,6 Prozent sogar einen Hochschulabschluß. Zum Vergleich: Einen selbigen besitzen laut Statistischem Bundesamt nur 8,6 Prozent aller Personen mit afrikanischem Migrationshintergrund und 17,3 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland. Die durchschnittliche Befragte ist also eine schwarze, weibliche Akademikerin aus der Mittelschicht. Eine sonderlich große Verbindung zu Afrika gibt es dabei trotz häufigem identitären Bezug auf den afrikanischen Kontinent meist nicht. 63 Prozent der Befragten sprechen keine afrikanische Sprache. Von Objektivität wollen die Autoren des Afrozensus laut eigener Aussage ohnehin nichts wissen. Die Forschung soll „in allererster Linie zum Empowerment, zur Selbstermächtigung, unserer Communities beitragen“, heißt es im Text. Es dürfe nicht angenommen werden, die Autoren hätten keine Positionierung. „Unser ‘wir’ ist Schwarz positioniert“, erklären die Sozialwissenschaftler im Text. Und so ist es in erster Linie eine Umfrage von schwarzen Aktivisten für schwarze Aktivisten. 

„Unsere Präsenz ist seit Jahrhunderten Teil deutscher Geschichte“, führen die Autoren aus. Genauso lange würden Schwarze in Deutschland bereits diskriminiert werden. „Anti-Schwarzer Rassismus ist eine spezifische Form des Rassismus und hat in Europa und Deutschland seit der Zeit der Versklavung Tradition“, resümieren die Forscher. Die reichlich eigenwillige Geschichtsauslegung setzt sich fort: Die westliche Moderne wurde nicht etwa durch die industrielle Revolution, sondern „wesentlich durch die Ausbeutung und Verschleppung afrikanischer Menschen und des afrikanischen Kontinents ermöglicht“, wissen die Forscher. „Das durch Versklavungsgewinne ermöglichte Mäzenatentum, also das Sponsoring von Kunst, klassischer Musik und Wissenschaften und Universitäten war ein weiterer konstitutiver Baustein der westlichen Moderne.“ 

Seit diesen Zeiten hat sich auch eine andere Sache kaum geändert: Die meisten autochthonen Deutschen seien sich ihres eigenen Rassismus gar nicht bewußt. „Das gesellschaftlich breit geteilte Selbstverständnis als ‘nicht rassistisch’ wirkt mit einer Unkenntnis über die Prägekraft historisch gewachsenen Anti-Schwarzen-Rassismus in heutigen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen zusammen,“ bemängeln die Studienmacher. Dieses Verhalten ermögliche die Verleugnung von Rassismus gegen Schwarze, besonders auf „institutioneller“ und „struktureller“ Ebene. Und genau auf dieser Ebene, der institutionellen, sollen Veränderungen her.

Die Autoren plädieren für ein knallhartes identitätspolitisches Rassenbewußtsein, in der „woken“ Welt auch als „Empowerment“ bekannt. „Empowerment bedeutet, von einer Position der gefühlten Machtlosigkeit zu einer individuellen und kollektiven Position der Ermächtigung mit Handlungs- und Gestaltungsmacht zu gelangen“, heißt es im Text. In diesem Prozeß könne ein „Schwarzes Bewußtsein (Black Consciousness) neue Handlungsspielräume eröffnen“. 

Zusätzlich fordern die Studienautoren konkrete politische Maßnahmen. Der Bundestag soll eine „Expert*innenkommission Anti-Schwarzer Rassismus“ einsetzen. Beratungsstellen für Betroffene von anti-schwarzem Rassismus müßten flächendeckend etabliert und um ein deutschlandweites Monitoring ergänzt werden, natürlich unter „Leitung und Fachaufsicht“ von schwarzen Lobbygruppen. In der Erinnerungspolitik sollen die postkolonialen Ansätze verstärkt werden. Dazu zählen auch „angemessene Restitutionen und Reparationen“, die „direkt mit den Vertreter*innen der Herkunftsgesellschaften und Nachfahren der von deutschem Genozid und Kolonialgewalt betroffenen Gemeinschaften erfolgen muß“. Auch an weiteren Stellen in der Studie wird mehr Geld und mehr Förderung von „antirassistischen“ Initiativen verlangt.

Weitere Studien sollen folgen, betonen die Autoren

Mitunter können die Ansprüche auch recht skurril wirken: Knapp 38 Prozent aller Afrozensus-Befragten berichten von „ungefragtem Anfassen von Haut und Haaren“ als Diskriminierungserfahrung. Zusätzlich würden viele „People of Color“ auch bei deutschen Friseuren auf Unverständnis und Unfähigkeit in der Frage eines passenden Haarschnitts treffen. Daher fordern die Autoren des Afrozensus eine „handwerkliche und entgeltliche Anerkennung Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Hairstylist*innen von Relevanz, die keine Friseur*innenausbildung in Deutschland durchlaufen haben“.

Entscheidend für die Wissenschaftler bleibt: die nun vorgelegte Arbeit soll „als Auftakt und nicht als Schlußstrich“ verstanden werden. Die Studienlage soll dementsprechend auch künftig erweitert werden, denn weitere Umbaumaßnahmen der Gesellschaft seien dringend notwendig. Und so zeigte sich auch Maisha-Maureen Auma, afrodeutsche Professorin für „Diversity Studies“ an der Universität Magdeburg-Stendal, bei der Vorstellung der Studie in der vergangenen Woche sehr zufrieden mit den Ergebnissen: „Der Afrozensus ist wegweisend für einen Institutionswandel auf dem Weg in eine rassismuskritische Gesellschaft.“

 https://afrozensus.de

Foto: „Black Lives Matter“-Demonstration in Berlin: „Empowerment“ für Schwarze gefordert