© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/21 / 10. Dezember 2021

Grüße aus … Paris
Das „iel“ empört die Geister
Katharina Puhst

Menschenmassen bevölkern die Pariser Straßen auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken. Die Weihnachtsmärkte laden zur gemütlichen Runde mit einer Tüte heißer Maronen ein. Wer zu geistiger Nahrung tendiert, schenkt seinem Kind den Schuber mit der jährlich erscheinenen Neuausgabe des Wörterbuches „Le Petit Robert“ sowie der dazugehörigen Online-Version. Damit ist eine Aufklärungsstunde unter dem Weihnachtsbaum garantiert, denn im November nahm das nunmehr seit 1967 existierende Diktionär das dritte Geschlecht „iel“ auf. Der Aufschrei in den Medien war ohrenbetäubend.

Was für eine Bescherung, muß sich Bildungsminister Jean-Michel Blanquer gedacht haben, als er sich François Jolivet, dem Abgeordneten der liberalen Partei La République en Marche, anschloß. Letzterer drückt in einem Schreiben an die Académie française, die Hüterin der französischen Sprache, seine Empörung über den Alleingang des Verlegers Le Robert aus. 

Dem Verlag wird die Werbung, die in Zusammenhang mit der Polemik steht, wohl nicht ungelegen kommen. 

Das Gefühl, im umzingelten gallischen Dorfe zu sitzen, breitet sich unwillkürlich aus. Die Reinheit sowie der Glanz der französischen Sprache sind bedroht, wie sie gegenüber den Medien äußern. Auch Präsident Macrons Gattin, Brigitte Macron, betont mit Rückblick auf ihr einstiges Lehrerinnendasein die Schönheit der Sprache, für die zwei Personalpronomen ausreichend seien.

Dagegen entgegnet der Verleger äußerst kühn, die „Evolution einer sich verändernden französischen Sprache zu beobachten“. Ob die Loslösung von den zwei traditionellen Geschlechtern tatsächlich gelungen ist, zeigt ein Blick auf die Herkunft des Wortes, das sich aus „il“ (dt. „er“) und „elle“ (dt. „sie“) zusammensetzt. Dem Wörterbucheintrag zufolge nach handelt es sich um ein „rares Personalpronomen“, das eine „Person unabhängig ihres Geschlechts bezeichnet“.

Wie rar dessen Gebrauch sein wird, erweist sich in den nächsten Monaten und Jahren. Auch wenn eine 2020 durchgeführte Umfrage des Meinungs- und Marktforschungsinstituts „Institut français d’opinion publique“ zeigt, daß jeder fünfte der 18- bis 30jährigen sich nicht mit den zwei traditionellen Geschlechtern identifiziert, so dürfte „iel“ ein überwiegend Pariser Phänomen bleiben. Die ländlichen Regionen sind weitaus weniger von Medien geprägt und traditionsgebundener als die Hauptstadt, die stets für einen Aufruhr oder Skandal zu gewinnen ist.

Letztlich dürfte dem Verlag die Werbung, die in Zusammenhang mit der Polemik steht, wohl nicht ganz ungelegen kommen. Gerade jetzt in der Adventszeit, wenn es darum geht, dem Konkurrenten Larousse mit seinen Wörterbüchern das Wasser abzugraben.