© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/21 / 10. Dezember 2021

Begehrte Rechte
Frankreich: Auch die Republikaner positionieren sich neu
Friedrich-Thorsten Müller

Mit einer faustdicken Überraschung endeten am Wochenende die Vorwahlen der Republikaner in Frankreich, zu der 140.000 Parteimitglieder aufgerufen waren. Mit 61 Prozent der Stimmen setzte sich die Regionalpräsidentin der Hauptstadtregion Île-de-France, Valérie Pécresse, in der Stichwahl um die Präsidentschaftskandidatur gegen den Rechtsaußen-Abgeordneten Éric Ciotti durch. 

Die 54jährige frühere Haushalts- und Hochschulministerin zeigte sich erfreut, daß Frankreichs Konservative mit ihr erstmals eine Frau ins Rennen um die Präsidentschaft schicken. Bereits in der ersten Runde schieden überraschend der Präsident der Region Hauts-de-France, Xavier Bertrand (22,4 Prozent), und der frühere EU-Kommissar, Michel Barnier (23,9 Prozent), aus. Pécresse war im ersten Wahlgang mit 25 Prozent gegenüber 25,6 Prozent für Ciotti zwar nur zweitplaziert, profitierte für die Stichwahl aber von den Wahlempfehlungen Bertrands und Barniers. 

Marine Le Pen muß sich warm anziehen 

Beiden war an einem moderaten Kandidaten als Herausforderer von Präsident Emmanuel Macron gelegen. Ciotti versuchte sich dagegen noch zwischen den beiden Wahlgängen über die sozialen Medien als einziger Kandidat mit Integrationspotential für alle rechten Strömungen zu empfehlen. Er betonte dabei, den Macronismus nicht mit einer Positionierung in der Mitte, ja einer Sozialdemokratisierung, stoppen zu können. Pécresse punktete dagegen mit ihrer trotzdem Verbindlichkeit und Tatkraft ausstrahlenden gemäßigten Positionierung. Gegenüber dem Nachrichtenmagazin Le Point bezeichnete sie sich als „zwei Drittel Merkel und ein Drittel Thatcher“. 

Pécresses erste Sorge nach ihrer Nominierung war, den rechten Flügel der Republikaner, die immerhin 39 Prozent Unterstützer Éric Ciottis, nicht zu verlieren. Denn gleich nach ihrer Wahl riefen sowohl Rassemblement-National-Chefin Marine Le Pen, als auch der frühere Journalist und frischgebackene Präsidentschaftskandidat, Éric Zemmour, enttäuschte Republikaner dazu auf, in ihr Lager zu wechseln. Immerhin gelang Pécresse, was François Fillon nach seinem Vorwahlsieg 2016 nicht geglückt war: Sämtliche unterlegenen Kandidaten versammelten sich zum Gruppenfoto um sie. Außerdem begab sie sich zur Absicherung dieser Unterstützung gleich am Montag zu einem Ortstermin mit Éric Ciotti nach Nizza, bei dem dieser bekundete, „sehnlichst den Präsidentschafts-Wahlerfolg für Pécresse“ zu wünschen.  

Interessanterweise erfolgte diese Unterstützung aber nicht ohne einen kleinen Seitenhieb Ciottis auch auf die Gemäßigten unter den Republikanern: Ebenfalls am Montag meldete er sich bei Twitter zu Wort. In dieser brandmarkte er, daß die Regierung es unterlassen habe, den tätlichen Angriff auf Éric Zemmour mitten in dessen Wahlkampf-Auftaktveranstaltung am Sonntag zu verurteilen. Eine Kritik, die sich auf die meisten Republikaner-Politiker übertragen läßt. 

Éric Zemmour trat in Villepinte vor 15.000 Anhängern auf, die ihn frenetisch feierten. Dabei war es einem guten Dutzend linker Aktivisten, unter anderem der Organisation „SOS Rassismus“, gelungen, sich unter die Zuschauer zu mischen. Dies führte zu Rangeleien und auch zu einem Rempler gegen Zemmour, bei dem dieser am Handgelenk verletzt wurde. 

Zemmour, der wenige Tage zuvor seine Präsidentschaftskandidatur angekündigt hatte, gründete an diesem Sonntag in Villepinte zur Unterstützung seiner Bewerbung die Partei „Reconquête“ (Rückeroberung). Der Name spielt auf das zentrale Motiv der in Konkurrenz zu Marine Le Pens Rassemblement National stehenden neuen Partei an: Sie sieht in Frankreich durch Einwanderung einen „großen (Bevölkerungs-)austausch“ vonstatten gehen, den man beenden möchte. Die über einstündige Rede Zemmours kam einer Generalabrechnung mit der französischen Politik der vergangenen 30 Jahre gleich. 

Der frühere Journalist bekundete, aus Verzweiflung über das Versagen der Politiker nun selbst in die Politik zu gehen. Neben dem „Großen Austausch“ will Reconquête den „Großen Abstieg“ weiter Bevölkerungsteile durch die ebenfalls dringend zu stoppende Deindustrialisierung zum Thema machen. 

Zuvor muß es Zemmour aber noch gelingen, etwa die Hälfte der benötigten 500 Unterstützungsunterschriften von Mandatsträgern und Bürgermeistern für seine Kandidatur zu gewinnen. Entsprechend rief er in seiner Rede auch vor 2,3 Millionen Fernsehzuschauern diese dazu auf, seinen Millionen Anhängern durch ihre Unterschrift die Chance zur Wahl zu geben. Nach der aktuellsten Umfrage von harris interactive, die parallel zu den Parteitagen von Republikanern und Reconquête durchgeführt wurden, können Valérie Pécresse und Éric Zemmour im ersten Wahlgang jeweils auf 14 Prozent der Stimmen hoffen. Der amtierende Präsdident Emmanuel Macron (ReM), der allerdings bisher seine erneute Kandidatur noch nicht erklärt hat, käme auf 23 Prozent. Er träfe nach dieser Umfrage in der Stichwahl weiterhin auf Marine Le Pen (RS) mit 18 Prozent. Beide neuen Herausforderer haben – im Gegensatz zu sämtlichen linken Kandidaten – das Potential, Le Pen in den nächsten Monaten den Stichwahleinzug streitig zu machen.

 Interview Seite 3, Forum Seite 20

Foto: Valérie Pécresse, Präsidentschaftskandidatin der Republikaner (LR) und der LR-Abgeordnete Eric Ciotti: „Zwei Drittel Merkel und ein Drittel Thatcher“