© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/21 / 10. Dezember 2021

Ein Leben im Wandel
Nachruf auf den Publizisten Klaus Rainer Röhl
Ronald Berthold

Als 1994 „Die selbstbewußte Nation“ erschien, war das Buch ein Aufreger im gerade wiedervereinigten Deutschland. In diesem Sammelband formiere sich eine gefährliche „Neue Rechte“, wetterten die Feuilletons. Als Sensation galt vielen, daß auch Klaus Rainer Röhl zu den Autoren zählte. Den Gründer der linksradikalen Zeitschrift Konkret und Ex-Ehemann der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof hatten die Herausgeber, die bekannten rechtsintellektuellen Springer-Journalisten Heimo Schwilk und Ulrich Schacht, für einen Beitrag gewinnen können.

In welchem Umfeld bewegt sich der publizistische Vordenker der 68er-Revolte da? Wie kann es sein, daß Röhl in die „falsche Gesellschaft“ geraten ist? Die linke Publizistik befand sich in Aufruhr. Es gab niemanden, der sich über die Irritationen mehr freute als Röhl selbst. 

Dabei hatte er zu diesem Zeitpunkt mit seinen „Linken Lebenslügen“, wie er drei Jahre später seine humorvoll und zugleich bissig geschriebene politische Autobiographie nannte, längst abgeschlossen.

Späte „solidarische“ Promotion bei Ernst Nolte

Röhl, der nun am 30. November, einen Tag vor seinem 93. Geburtstag in Köln gestorben ist, war ein Renegat: Schon 1955 hob er Konkret als kommunistisches Sprachrohr in Westdeutschland aus der Taufe. Als prominenter Linker der 1960er und 1970er Jahre entwickelte sich der gebürtige Danziger stetig zu einem konservativen Patrioten. Ein Jahr bevor sein Sinneswandel durch die „Selbstbewußte Nation“ so viele erstaunte und empörte, hatte er bereits bei Ernst Nolte promoviert.

Den Berliner Geschichtsprofessor, hoch anerkannt durch seine Forschungen zum Faschismus, hatten linke Meinungsführer um Jürgen Habermas während des „Historikerstreits“ 1986 zum Ausgestoßenen erklärt, weil er einen Zusammenhang zwischen dem Gulag-System der Kommunisten und dem Holocaust der Nationalsozialisten gezogen hatte.

Röhl erkannte in Nolte einen Bruder im Geiste. Die „maßlose und ungerechtfertigte Kampagne“, wie er die Hetzjagd auf Nolte nannte, veranlaßte ihn bereits 1987, mit dem Berliner Hochschullehrer Kontakt aufzunehmen: Er habe „ihm den Vorschlag gemacht, solidarisch, gewissermaßen demonstrativ bei ihm zu promovieren“, erklärte Röhl Jahre später in den „Linke Lebenslügen“.

Allen, die sich nun über seinen Seitenwechsel wunderten, schrieb er ins Stammbuch: „Die Wahl des Doktorvaters war also keineswegs ein Zufall.“ Das heißt: Bereits vor 1987 hatte Röhl das linke Lager verlassen. 

Er promovierte schließlich im Alter von 65 Jahren bei Nolte über die „Zusammenarbeit von Kommunisten und Nationalsozialisten beim Berliner BVG-Streik von 1932“. Nicht nur der begleitende Historiker, auch das Thema war eine Kampfansage an seine alten Genossen.

Dabei hatte er seine Zeitschrift in den Anfangsjahren heimlich von der SED finanzieren lassen. Doch 1964 kam es zum Bruch mit den Machthabern in Ost-Berlin, weil Röhl die kritische Serie „DDR-intim“ veröffentlichte. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete bereits Ulrike Meinhof in der Redaktion. 1961 heirateten die beiden, bekamen Zwillinge – darunter die bis heute aktive Publizistin Bettina Röhl. Mit ihren politisch gegen den Zeitgeist gebürsteten Texten ist sie in die Fußstapfen ihres Vaters getreten.

Auch ohne die Unterstützung aus dem Osten konnte Röhl das Blatt weiterführen. Er stellte es sogar von monatlichem auf 14tägigen Erscheinungsrhythmus um. 1972, im von Bundeskanzler Willy Brandts umstrittener Ostpolitik dominierten Wahlkampf, machte er das Medium sogar zur Wochenzeitung. Konkret entwickelte sich in den 1960er Jahren zum Kampfblatt der APO, der linken außerparlamentarischen Opposition. Ein Jahr nach dem Ende des Geldflusses aus der DDR erreichte es eine Auflage von 100.000 Stück. Zwei Jahre später verkaufte es sich 176.000mal, ein Allzeithoch.

Röhl war nun auch finanziell erfolgreich und führte ein Leben als linker Parvenü und Lebemann. Mit seinem roten Porsche und Taschenuhren, die in teuren, schicken Anzügen steckten, paßte er optisch allerdings nicht zum schlampigen Erscheinungsbild seiner Klientel. 

Doch der Vater von insgesamt drei Töchtern wußte, was die Leserschaft wollte und traf mit seinen Themen den Nerv der rebellierenden Studenten. Zudem veröffentlichte er Nacktfotos und erotische Texte, die den Verkauf weiter anheizten – alles natürlich im Namen der beginnenden „sexuellen Revolution“.

Seine damalige Ehefrau Ulrike Meinhof radikalisierte sich zunehmend weiter, veröffentlichte weniger Beiträge in Konkret als in den öffentlich-rechtlichen Sendern. Die beiden entfremdeten sich. 1968 folgte die Scheidung. Wenige Jahre später gründete Meinhof mit Andreas Baader die RAF und gehörte zu den meistgesuchten Terroristen der Bundesrepublik. Den Terror verabscheute Röhl zutiefst. Er verurteilte die politische Gewalt und appellierte mehrfach öffentlich an die Mutter zweier seiner Töchter, den bewaffneten Kampf zu beenden. Diese nahm sich 1976 im Stammheimer Gefängnis das Leben. 

Auch wenn der als autoritär geltende, bei manchen gefürchtete Chef 1974 aus seiner eigenen Zeitschrift herausgemobbt wurde, blieb er gerngesehener Talkshow-Gast, vor allem in der ARD. 1981 versuchte er mit Spontan einen journalistischen Neustart im Printbereich. Doch das in direkter Konkurrenz zu Konkret erscheinende linke Magazin mußte Röhl nach nur drei Jahren wegen wirtschaftlicher Erfolglosigkeit wieder vom Markt nehmen.

Appell „gegen das Vergessen“ unterschrieben

Bis Anfang der 1990er Jahre wurde es ruhiger um ihn. Als politisch Gewandelter, der 1994 auch den vom Ullstein-Cheflektor Rainer Zitelmann sowie den Welt-Journalisten Schwilk und Schacht initiierten „Berliner Appell“ gegen eine drohende „antifaschistisch-demokratische Ordnung“ unterzeichnete, betrat er nur kurzfristig die öffentliche Bühne. Doch ein rechter Talkshow-Gast, der den Medienmachern seine und damit ihre politischen Irrtümer unter die Nase rieb, war den Sendern nicht ganz so lieb wie der frühe linke Röhl und Einladungen blieben aus.

Der Publizist mußte sich wieder aufs Schreiben verlegen. Im Ullstein-Verlag hatte er mit Zitelmann einen wohlgesonnenen Mentor, der ihn auch bei politischen Aktionen einband. Der 50 Jahre nach Kriegsende am 8. Mai 1995 veröffentlichte Appell „gegen das Vergessen“ warnte davor, das Kriegsende einseitig als „Tag der Befreiung“ darzustellen und trug auch Röhls Unterschrift. 

1998 veröffentlichte er bei Ullstein sein „Deutsches Phrasenlexikon – Politisch korrekt von A bis Z“. Es war eine humorvolle, spitze und prophetische Abrechnung mit der linken Sprachpolizei, die damals begann, ihren Siegeszug anzutreten.

Bis ins hohe Alter schrieb Röhl seine Texte, zuletzt vorwiegend in der konservativen Preußischen Allgemeinen Zeitung, dem vormaligen Ostpreußenblatt. Er wolle, so begründete er sein Engagement, über „die tiefgreifenden, zum Teil verheerenden Folgen der kommunistischen und linksutopischen Aktivitäten, an denen ich als Herausgeber und Kommentator beteiligt gewesen war“, aufklären.

Fotos: Vom linken Blattmacher ...: Klaus Rainer Röhl 1983; ... zur konservativen Stimme: 2008 in seiner Wohnung in Köln