© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/21 / 10. Dezember 2021

Politische Implikationen
Vor sechzig Jahren endete der Eichmann-Prozeß in Jerusalem mit dem Todesurteil
Thorsten Hinz

Der Prozeß gegen SS-Obersturmbannführer a.D. Adolf Eichmann, geboren 1906 in Solingen, einst Leiter des Judenreferats IV B im Reichssicherheitshauptamt, endete am 15. Dezember 1961 mit dem Todesurteil. Begonnen hatte das Verfahren vor dem Jerusalemer Bezirksgericht am 11. April 1961. Die Vorwürfe gegen den Angeklagten waren in 15 Punkten zusammengefaßt. Schon der erste war monströs genug, um im Fall des Schuldnachweises die Höchststrafe zu rechtfertigen: Verursachung des Todes von Millionen von Juden durch Vernichtungslager, Einsatzgruppen, Arbeitslager, Konzentrierung und Massendeportation.

Am 11. Mai 1960 war Eichmann von israelischen Geheimagenten aus Argentinien entführt worden, wo er seit 1950 unter den Namen Otto Henninger und Ricardo Clement gelebt hatte. Die Verletzung der argentinischen Souveränität führte zu diplomatischen Spannungen und beschäftigte sogar den UN-Sicherheitsrat, doch letztlich wurde die Berechtigung der Anklage anerkannt.

Es handelte sich um einen Jahrhundertprozeß, den die Israelis als die nötige Ergänzung zum Nürnberger Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher betrachteten. Mehr als 100 Zeugen wurden gehört, 1.600 Dokumente vorgelegt. Pressevertreter aus der ganzen Welt reisten an. Zu ihnen gehörte Hannah Arendt, die mit ihrem Buch „Eichmann in Jerusalem“ bis heute anhaltende Kontroversen auslöste. Eine US-amerikanische Produktionsfirma durfte im Gerichtssaal filmen. Eichmann befand sich in einem Glaskasten, um ihn vor möglichen Attentätern zu schützen.

Adenauer verabredete während des Prozesses Hilfszahlungen an Israel

Fragen nach seiner Schuld beantwortete er so: „Menschlich schuldig ja, weil ich an der Deportierung schuldig bin.“ Nicht schuldig jedoch im juristischen Sinne. „Ich hatte nur befehlsgemäß Bericht zu erstatten.“ Sein Anwalt Robert Servatius hatte beantragt, „das Verfahren gegen den Angeklagten einzustellen, und den Angeklagten außer Verfolgung zu setzen“. Er betonte, „daß kein Dokument vorliegt, das die Zusammenarbeit des Angeklagten mit den Vernichtungslagern beweist“. Sein Mandant sei Rädchen im Getriebe gewesen. Er habe auf Befehl Deportationen organisiert, aber nicht gewußt, welches Schicksal den Deportierten bevorstand. Das Gericht schätzte das als unglaubwürdig ein und stützte sich dabei auf Dokumente und die Aussagen früherer Mitarbeiter Eichmanns, die seine höchst aktive Rolle etwa 1944 bei der Verschleppung der ungarischen Juden nach Auschwitz bekundet hatten, zu einem Zeitpunkt, als der Krieg längst verloren und der Massenmord auch im neutralen Ausland längst kein Geheimnis mehr war.

Der Prozeß hatte beträchtliche politische Implikationen. Außenpolitisch befand die Bundesrepublik sich gerade in einer schwierigen Situation. In den USA hatte John F. Kennedy das Präsidentenamt angetreten. Die neue US-Administration betrachtete die deutsche Wiedervereinigung nicht mehr als operatives Ziel der Politik. Sie wollte mit Moskau verhandeln, ohne sowjetische Konzessionen in der Deutschlandfrage zur Vorbedingung zu machen. Mit ihrem Beharren auf diesem Junktim begann die Bundesrepublik, die von den Verbündeten ohnehin mehr gelitten als geliebt wurde, ihren Partnern lästig zu werden. Die DDR tat alles, um ihr Mißtrauen und ihren Mißmut am Köcheln zu halten und Bonn durch selektive Aktenpublikationen als Hort unbelehrbarer, verkappter Nazis zu diskreditieren. Als Hauptzielscheibe bot sich Hans Globke, Staatssekretär im Bundeskanzleramt und rechte Hand Konrad Adenauers, an, der als Beamter des Reichsinneninisteriums an der Kommentierung der Nürnberger Rassegesetze mitgewirkt hatte. Die Bundesregierung hatte also allen Grund, die politischen und psychologischen Auswirkungen des Prozesses zu fürchten.

Im März 1960 hatte Konrad Adenauer sich in New York mit dem israelischen Ministerpräsidenten Ben Gurion getroffen, der ihm die Nachwirkungen der NS-Verbrechen und die wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten des jüdisches Staates darlegte. Er schlug eine deutsche Mitwirkung bei der wirtschaftlichen Erschließung Israels oder eine sich über einen Zeitraum von zehn bis 20 Jahren erstreckende, alljährliche Anleihe von 40 bis 50 Millionen US-Dollar vor. In seinen Memoiren schrieb Adenauer, er habe versichert, daß die Bundesrepublik Israel nicht im Stich lassen würde, aber keine konkreten Zusagen damit verbunden. Die Passage darf unter die staatsmännischen Flunkereien des Gründungskanzlers verbucht werden.

In Wahrheit hatten die beiden Regierungschefs sich geeinigt, daß die Bundesrepublik Israel mit einem über zehn Jahre laufenden Kredit von insgesamt 500 Millionen Dollar – damals zwei Milliarden D-Mark – bei der „Erschließung des Negev“ behilflich sein solle. Weil es sich um eine Absprache, nicht um ein Abkommen handelte, mußten weder das Bundeskabinett noch der Bundestag eingeschaltet werden. Im Dezember 1961, just als der Eichmann-Prozeß endete, wurde die Absprache zwischen dem israelischen Geschäftsträger in Deutschland und dem Auswärtigen Amt konkretisiert. Die zinsverbilligten Darlehen sollten halbjährlich neu ausgehandelt und aus dem Haushaltstitel „Förderung von Entwicklungsländern durch Gewährung bilateraler Kapitalhilfe“ bedient werden. Als Verwendungszweck wurden „Industrie- bzw. Infrastrukturmaßnahmen“ genannt. Die Aktion lief unter dem Codenamen „Operation Geschäftsfreund“. Es gibt starke Anhaltspunkte, daß diese Gelder maßgeblich zur Finanzierung des israelischen Atomwaffenprogramms dienten. Das israelische Kernforschungszentrum Negev befindet sich nahe der Stadt Dimona in der Negev-Wüste, die damit tatsächlich „erschlossen“ wurde. Außerdem belieferte die Bundesrepublik Israel mit Waffen, um, wie der ehemalige Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß sagte, die „politisch und psychologisch gefährlichen Rückwirkungen des Eichmann-Prozesses“ zu vermeiden. Einerseits setzte der Prozeß Bonn unter Druck, andererseits benötigte Israel die Hilfe der Bundesrepublik und hatte kein Interesse daran, daß die Bundesregierung kompromittiert wurde. Kurz vor Prozeßbeginn änderte daher das israelische Parlament die Strafprozeßordnung und schaffte die Möglichkeit der Nebenklage ab. 

DDR-Starjurist Kaul wurde als Nebenkläger verhindert

Das richtete sich gegen den Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul, den professoralen Star-Juristen der DDR, der als Nebenkläger auftreten wollte. Kaul, der seine juristische Ausbildung in der Weimarer Republik durchlaufen hatte, thematisierte in seinen Auftritten mit Vorliebe die Kontinuität der Funktionseliten vom Dritten Reich zur Bundesrepublik. Nun mußte er sich auf die Beobachtung des Prozesses beschränken. Doch auch in dieser Rolle erschien er Bonn gefährlich. Ein Vertrauter Adenauers und ein Reporter der Bild-Zeitung – ein Schwager Axel Springers – entwendeten aus Kauls Hotelzimmer in Jerusalem „Aufzeichnungen, Vollmachten und alle möglichen Unterlagen, in denen eine ganze Reihe von Namen westdeutscher Persönlichkeiten enthalten“ waren. Kaul wiederum veröffentlichte 1963 das Buch „Der Fall Eichmann“, das scharfe Angriffe gegen die Bundesrepublik enthielt.

Wie ernst die Bundesregierung die Situation einschätzte, zeigte sich auch im Hilfeersuchen ihres Presse- und Informationsdiensts ausgerechnet an das Frankfurter Institut für Sozialforschung (IfS), das sich auf die sogenannte Vergangenheitsbewältigung kapriziert hatte. Ausdrücklich wurde der jüdische Remigrant Max Horkheimer gebeten, ein Interview zu geben, das sich vor allen an die amerikanische Öffentlichkeit richten und um Vertrauen für die Bundesrepublik werben sollte. Tatsächlich wurde das Interview mit dem American Jewish Committee (AJC) konzipiert, im Bayerischen Rundfunk aufgenommen und in New York als Sonderdruck publiziert. Privatim hielt Horkheimer nicht viel von dem Prozeß, denn „sowohl der Raub politischer Flüchtlinge aus dem Ausland wie Schauprozesse sind mir von faschistischen oder halbfaschistischen Staaten in Erinnerung“ geblieben. Ihm wäre es lieber gewesen, ein Holocaust-Hinterbliebener hätte Eichmann einfach niedergestreckt.

Foto: Adolf Eichmann auf der Anklagebank im März 1961: Nötige Ergänzung zum Nürnberger Prozeß