© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/21 / 10. Dezember 2021

Stachel gegen Merkel
Eugen Abler, ein CDU-Mann alten Schlages, rechnet ab
Albrecht Rothacher

Die einstigen Volksparteien CDU und CSU haben seit 1990 über 440.000 Mitglieder verloren – und die SPD gar 540.000 –, doch nicht jeder schreibt gottlob ein Buch über die Gründe seines Austritts. Eugen Abler ist jedoch ein interessanter Fall und ein guter, scharfsinniger Beobachter des Niedergangs der inhaltlich entkernten Merkel-Union. Immerhin hatte er in seinen vier Jahrzehnten als erfolgreicher Lokal- und Regionalpolitiker im katholisch-ländlich geprägten oberschwäbischen Kreis Ravensburg noch die absolute Mehrheit von 56,7 Prozent von Ministerpräsident Hans Filbinger 1976 mit der Parole „Freiheit statt Sozialismus“ erlebt sowie den seitherigen Abstieg zu einer Mittelpartei, die um 20 Prozent grundelnd als Juniorpartner der Grünen in ihrer Beliebigkeit politisch bedeutungslos geworden ist. 

Ablers Spezialität war es, während fast aller CDU-Bundesparteitage – 13 an der Zahl – die zwischen 2003 und 2018 stattfanden, sich an prominenter Stelle als einsame Stimme von der Basis mutig zu Wort zu melden und zum zähneknirschenden Mißvergnügen der opportunistisch jubelnden Partei-Prominenz anfangs ganz sanft und höflich, dann im Laufe der Jahre zunehmend deutlicher und energischer Kritik an der Merkelschen Politik zu üben. Seine sehr lesenswerten Kurzreden sind als Dokumente der wachsenden Entfremdung des schrumpfenden traditionellen konservativen Lagers von der zeitgeistigen Unionsführung und seine Kaltstellung bedeutsam. 

Ablers Themen variieren. Es geht ihm um die Einführung des einheitlichen Einkommensteuersatzes von 25 Prozent (plus Freibeträge von 8.000 Euro pro Familienangehörigem), den Vorschlag des Juristen Paul Kirchhof also, um Familiengeld zur Kindererziehung und um eine Autobahn-Maut und Tempo 130. Er wendet sich gegen Schuldenpakete zu Zeiten der Hochkonjunktur, die mit den Grundsätzen einer sparsamen schwäbischen Hausfrau nicht vereinbar seien und gegen Rettungsaktionen für bankrotte EU-Staaten, die wie Griechenland lieber ihre Selbstheilungskräfte mobilisieren sollten. 

Solange Merkel sich noch öffentlich für die Atomkraft, gegen Eurobonds und die Verletzungen des Stabilitätspaktes, gegen Multikulti, Asylmißbrauch und die Einwanderung in unsere Sozialnetze ausspricht, stimmt Abler ihr zu. Doch im Gegensatz zu den desinteressierten Delegierten nach ihren Kurswechseln nicht länger. Für ihn gehört der verharmloste Islam, für den Christen rechtlose Ungläubige sind, nicht zu den Wurzeln und Werten des christlichen Abendlandes.

Mit dem Kurswandel der Familienpolitik und der Einwanderungspolitik drohe Ende des Jahrhunderts das Ende des deutschen Volkes. Daher auch als gläubiger Katholik das Ceterum censio aller seiner 13 Beiträge zum Lebensschutz mit 200.000 jährlichen Abtreibungen und seit 1974 acht Millionen getöteten potentiell gesunden Ungeborenen – oft mit Steuermitteln und auf Kosten der Krankenkassen: Würden sie leben, hätten wir weder einen Fachkräftemangel noch bräuchten wir eine Einwanderung. 

Stattdessen befasse sich die Regierung mit dem Insektenschutz, dem Adoptionsrecht für Homosexuelle, der Quotenpolitik, Gender-Umerziehungsprogrammen und dem dritten Geschlecht für eine Handvoll Zwitter. Mit flotten Sprüchen wie „Die CDU hat mittlerweile das Profil eines abgefahrenen Reifens und ist beliebig geworden“ und: „Wer den Zeitgeist heiratet, kann schnell Witwe werden“, bekommt Abler medial bundesweit, auch international, als einsamer Rufer in der Wüste des Merkelismus und Teil der Parteitags-Folklore einige Aufmerksamkeit. Doch holt ihn die Feindseligkeit des Apparats in der Heimat ein, wo er seine lokalpolitischen Ämter vor Jahresfrist verliert. Auch ein früherer Versuch, für ein Bundestagsmandat zu kandidieren, scheiterte an den Intrigen des Platzhirsches und der mit ihm verbündeten Lokalpresse. Insofern zeichnet jener im übrigen hervorragend annotierte und dokumentierte politische Erinnerungsband die Ära Merkel und den Niedergang der CDU aus der kritischen Perspektive eines distanzierten Insiders sehr schön nachvollziehbar nach.

Eugen Abler: Der Verrat am C. Einsichten und Ansichten eines ehemaligen CDU-Mitglieds. Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried 2021, gebunden, 320 Seiten, 18,90 Euro

Foto: CDU-Parteivorsitzende Angela Merkel auf dem Parteitag 2002 in Hannover: Verzweifelt an den vielen Kurswechseln