© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/21 - 01/22 / 24. Dezember 2021

Das Jahr geht – Mutti ist schon weg
Rückblick: 2021 endet ereignisreich und wird als Wegmarke einer Epoche in die Geschichte eingehen / Ende der Kanzlerschaft Merkels und Übergang zu einer neuen grünen Ära
Paul Rosen

Das Jahr 2021 wird eines Tages zu den herausragenden Wegmarken der Bundesrepublik gezählt werden: So wie die Wahl Willy Brandts zum Kanzler 1969 in Westdeutschland das Ende der Nachkriegsära markierte und 1989/90 die kaum noch erwartete staatliche Einheit brachte, so markiert 2021 den Übergang zu einer neuen, grünen Ära. Rund fünf Jahrzehnte hat es gedauert, bis die in den 1968er Studentenunruhen wurzelnde Bewegung der Grünen zur vorherrschenden gesellschaftlichen Bewegung geworden ist, auch wenn das Wahlergebnis dies (noch) nicht zum Ausdruck bringt. Parallel dazu geht es mit der CDU/CSU nach dem Ende der Merkel-Ära steil bergab.

Den Grundstein für ihren beschleunigten Niedergang legt die CDU am 16. Januar 2021, als der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet zum neuen CDU-Vorsitzenden und damit zum Nachfolger der glücklosen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer gewählt wird. Laschet gewinnt nie Autorität auf der bundespolitischen Bühne und bringt sich später mit seinem unangebrachten Lachen beim Besuch im Hochwassergebiet um wichtige Prozente bei der Bundestagswahl.

„Olaf Scholz hat eher die Begabung, Blutdtruck zu senken“

Das ganze Jahr wird durchzogen von Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Die Richtung der Politik der Bundesregierung wechselt häufig; Impfstoff fehlt, und die Deutschen erleben, daß die gern vollmundig auftretende EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Impfstoff-Desaster auch nicht beenden kann. Die EU entlarvt sich als Schönwetterveranstaltung. Ein Zitat aus der damaligen Zeit zeigt das Hin und Her. „Die Bundesregierung hat klar gesagt, daß es keine Pflicht zur Impfung gegen Corona geben wird. Das Wort der Bundesregierung gilt“, sagt die damalige Justiz- und heutige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) am 13. Januar. Aktuell wird die Impfpflicht erwogen. Folge sind zunehmende Demonstrationen von Gegnern der Corona-Politik gegen die Regierung. Eine Korruptionsaffäre um Schutzmasken erschüttert zu Jahresbeginn die Union. Anfang März treten zwei Abgeordnete aus der Fraktion aus.

In der ganz linken Ecke tut sich auch was. Die Linke wählt Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow zu neuen Vorsitzenden. Größere Bekanntheit erreichen sie nicht, womit die Niederlage bei der Bundestagswahl vorprogrammiert ist. Die bekannteste Linken-Politikerin, Sahra Wagenknecht, wird von der Partei verschmäht; sie wird zusehends zur Ikone der Impfgegner.

Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg werden mit den Zuwächsen der führenden Grünen Tendenzen für die Bundestagswahl sichtbar. Bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz bestätigt der Sieg der SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer Annahmen, daß in der von vielen totgesagten SPD noch Leben steckt. Am 9. Mai bestätigt die SPD Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten. „Olaf Scholz hat eher die Begabung, Blutdruck zu senken als steigen zu lassen“, erklärt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder – eine fatale Fehleinschätzung.

Söder gibt im Rennen um die Unionskanzlerkandidatur auf. Laschet trägt einen – letzten – Sieg davon. Daß die am 19. April zur grünen Kanzlerkandidatin gekürte Annalena Baerbock nicht nur Probleme mit ihrem Lebenslauf hat, dürfte die Grünen wertvolle Prozente gekostet haben. Die SPD profitiert. Es schadet ihr auch nicht, daß Familienministerin Giffey wegen einer Plagiatsaffäre zurücktreten muß. So was gilt heute wohl als Kavaliersdelikt, wie später das Ergebnis der Berliner Abgeordnetenhauswahl zeigt, die die SPD mit Giffey als Spitzenkandidatin knapp gewinnt.  

Am 29. Juni kehren die letzten Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan heim. Der Westen hat den Krieg verloren. Politiker sind beim Eintreffen der Soldaten nicht zu sehen. Das ändert sich erst, als nach dem Fall Kabuls deutsche Fallschirmjäger und Spezialkräfte Zivilisten via Luftbrücke evakuieren müssen.  

Das Jahr endet wie es beginnt: mit Armin Laschet

In Sachsen-Anhalt zeigt sich, daß beliebte Ministerpräsidenten (in diesem Fall Reiner Haseloff, CDU) gute Chancen auf Wiederwahl haben. Das wird sich im September auch in Mecklenburg-Vorpommern (Manuela Schwesig, SPD) zeigen. In beiden Ländern wird die AfD zweitstärkste Kraft. 

Am Abend der Bundestagswahl vom 26. September setzt sich die SPD vor die Union, was Scholz am 8. Dezember das Kanzleramt als Chef einer Ampelkoalition mit Grünen und FDP beschert. Die AfD gewinnt 16 Direktmandate und steht in Sachsen und Thüringen auf Platz eins. Im Westen allerdings schafft es die Partei nirgends über zehn Prozent. Stimmenverluste von fast 20 Prozent der Wähler seien „kein gutes Ergebnis“, da nur die „eigene Blase“ bedient worden sei, meint Parteichef Jörg Meuthen, während sich das Spitzenduo Alice Weidel und Tino Chrupalla das Ergebnis „von niemandem schlechtreden lassen“ will. Der Riß im Bundesvorstand der Partei bleibt auch nach der Wahl unübersehbar. Den Status einer „Oppositionsführerin“ im Plenarsaal des Reichstags hat die AfD eingebüßt.

Die Ära Merkel ist endgültig zu Ende. Zudem verschwindet Wolfgang Schäuble (CDU) aus der ersten Reihe. Ihm folgt Bärbel Bas (SPD) als Bundestagspräsidentin. Die SPD ersetzt ihren Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans durch Generalsekretär Lars Klingbeil. Saskia Esken bleibt Co-Vorsitzende. Da sich die SPD-Spitze das ganze Jahr hinter Scholz bedeckt gehalten hat, fällt der Wechsel zu Klingbeil kaum auf.

Das Jahr beginnt und endet mit Armin Laschet. Der Unions-Unglücksrabe wird am 17. Dezember im Parteivorsitz von Friedrich Merz abgelöst, dessen Bestätigung nach der Urwahl nur noch Formsache ist. Merz hat damit das Trauma der Niederlage, als er 2002 von Merkel als Fraktionschef gestürzt worden war, überwunden (siehe Beitrag Seite 7). 

Fotos: Angela Merkel besteigt zum letzten Mal den Dienstwagen: Mit einem Zapfenstreich der Bundeswehr wird die neue Altkanzlerin verabschiedet; Ankunft von Soldaten des letzten deutschen Afghanistan-Kontingents: Ohne Politiker; Vom Hochwasser in der Eifel zerstörtes Altenahr: Freiwillige helfen beim Aufräumen