© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/21 - 01/22 / 24. Dezember 2021

Mehr „Mehr“ wagen
Koalition und Opposition: In ersten Amtshandlungen versorgt die Ampel-Regierung ihre Leute mit lukrativen Posten / AfD bekommt keine Ausschußvorsitzenden
Jörg Kürschner

Nach endlos langen Jahren mit großer Aufmerksamkeit als Regierungspartei dreht die Union in der Opposition jetzt am kleinen Rad. „Finanzministerium zieht Präsidialamtsstellen zurück. Union setzt sich mit Kritik durch“, triumphierte Christian Haase, haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Endlich mal wieder eine Erfolgsmeldung? Was war geschehen?

Durch den Machtwechsel beschwingt, hat die Ampelkoalition mit ihrer Mehrheit im Haushaltsausschuß dafür gesorgt, daß ihr 173 zusätzliche Stellen bewilligt wurden. Voraussichtliche Kosten: 20 Millionen jährlich. Auf gerade mal drei beantragte Planstellen haben SPD, Grüne und FDP verzichtet. „Das Bundesfinanzministerium konnte nicht erklären, inwieweit die Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit der neuen Bundesregierung einen direkten Zusammenhang mit den Personalstellen für das Bundespräsidialamt hat“, kritisierte der Oppositionspolitiker. Das behauptete Büroversehen sei wenig glaubhaft.

Wie nahezu alle Vorgängerregierungen haben die Ampelkoalitionäre beim Personal ordentlich hingelangt. Nach aktuellen Berechnungen wird die Regierung Scholz/Habeck von 72 Staatsministern sowie parlamentarischen und beamteten Staatssekretären unterstützt. Problematisch erscheint darunter die bereits hohe, aktuell von 36 auf 37 gestiegene Zahl der „Parlamentarischen“. Hinzu gerechnet werden müssen die Beauftragten und Koordinatoren. Deren Anzahl ist noch nicht ausgemacht, häufig gehören sie dem Bundestag an. In deren Amtsbezeichnung sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. So gab es in der letzten Merkel-Regierung zum Beispiel einen „Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Rußland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft“, und einen „Beauftragten für weltweite Religionsfreiheit“. Kritiker sprechen von einem „Stabilisierungsprogramm“ der Koalition, denn je mehr Top-Jobs verteilt werden, desto weniger unzufriedene Abgeordnete gibt es. Finanzielle Dotierung, personelle Amtsausstattung schaffen Abhängigkeiten, das Regieren wird leichter. Ein Parlamentarischer Staatssekretär kommt auf gut 20.000 Euro im Monat. Machtarithmetik vom Feinsten. 

Außerdem ist die Bundesregierung durch das neu geschaffene Bauministerium größer geworden. Macht 95 neue Planstellen. Seit dem 8. Dezember gibt es damit 17 eigenständige Ressorts. Die Postenvermehrung passe „nicht zum Gebot der Sparsamkeit“, kritisierte Reiner Holznagel, Chef des Steuerzahlerbundes. Finanz-Staatssekretär Florian Toncar (FDP) machte geltend, es werde anderswo „in finanziell gleichwertigem Umfang“ eingespart. Die harsche Kritik von FDP und Grünen an der Stellenvermehrung der Großen Koalition ist längst vergessen. Drei Jahre ist das her.

Das Kalkül ging auf, die drei AfD-Kandidaten fielen durch

„Das Antlitz des Landes wird sich verändern“, hat der grüne Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck angekündigt und sich dafür 28 neue Planstellen gesichert. Nötig sei der Aufwuchs „für die gesamte politisch-strategische Planung und Kommunikation des Klimaschutzes“, lautet die unscharfe Begründung. Eng an Habecks Seite wird künftig sein beamteter Staatssekretär Sven Giegold sein, Mitgründer der antikapitalistischen Nichtregierungsorganisation Attac. 

Als kalte Dusche dürfte der SPD-nahe Miguel Berger die Ansage seiner neuen Dienstherrin Annalena Baerbock (Grüne) empfunden haben. Die Außenministerin bedeutete ihrem überraschten Staatssekretär, daß einer seiner Vorgänger sein Nachfolger werden soll. Staatsekretäre können als politische Beamte ohne Begründung jederzeit in den einstweiligen Ruhestand oder auf einen anderen Posten versetzt werden. Baerbock stützt sich künftig auf Parteifreund Andreas Michaelis, der bis 2005 ihrem Vorgänger Joschka Fischer gedient hat. So ist man unter sich und zeigt Flagge gegenüber der SPD und den außenpolitischen Ambitionen ihres Kanzlers Olaf Scholz.

Auch im Bundestag haben die Koalitionäre Flagge gezeigt, konnten sich dabei auf CDU/CSU und Linke verlassen. Es ging gemeinsam gegen die AfD. Kurzerhand wurde das Wahlverfahren für die Vorsitzenden der Bundestagsausschüsse geändert, um die Fraktion auszugrenzen. Dabei heißt es in Paragraph 12 der Geschäftsordnung: „Die Zusammensetzung der Ausschüsse sowie die Regelung des Vorsitzes in den Ausschüssen ist im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen vorzunehmen.“ 

Der AfD fiel im sogenannten Zugriffsverfahren der Vorsitz im Innen-, im Gesundheits- und im Ausschuß für Entwicklungszusammenarbeit zu. Eigentlich. In der Regel ist die Wahl Formsache, doch wurde nicht wie seit über 70 Jahren üblich per Akklamation abgestimmt, sondern geheim. Das Kalkül des Allparteienbündnisses ging auf, die drei AfD-Kandidaten Martin Hess, Jörg Schneider und Dietmar Friedhoff fielen durch.

Ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung, der von den anderen Fraktionen nicht in Abrede gestellt, sondern sogar gerechtfertigt wurde. Hess dürfe als Mitglied einer vom Verfassungsschutz teilweise beobachteten Partei nicht Zugang zu sicherheitsrelevanten Informationen haben, hieß es unisono von Union bis Linkspartei. „Das jetzt angewandte Verfahren zeigt: Das Parlament funktioniert“, befand lapidar Irene Mihalic, frisch gewählte Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen. Von einer legitimen Entscheidung sprach der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer und empfahl der AfD, ihr Gebaren im Parlament zu ändern. Oft mißbrauchten deren Redner Debatten, um diffamierende und desavouierende Äußerungen von sich zu geben. 

AfD-Fraktionsvize Stephan Brandner wies das  Ansinnen Mayers zurück, der von dem „klaren Rechtsbruch“ ablenken wolle. Und was das Benehmen angehe, verwies er zunächst auf den grünen Kollegen Cem Özdemir. Als Verkehrsausschußvorsitzender habe der 2018 in einer emotionalen Rede gegen die AfD gewütet, ihre Abgeordneten als „Rassisten“ beleidigt. Auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) fehle es oft an neutralem Verhalten, sagte Brandner gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Er selbst war Ende 2019 als Vorsitzender des Rechtsausschusses wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Mäßigungsgebot abgewählt worden. Ein bisher einmaliger Vorgang im Bundestag. 

Die Nichtwahl des AfD-Kandidaten Hess, eines langjährigen Polizeibeamten, bedeutet, daß Petra Pau von der Linksfraktion den Innenausschuß als dienstältestes Mitglied kommissarisch leitet. Brandner: „Daß sich auch die Union an dem Schmierenstück beteiligt hat, zeigt deren Heranwanzen an alles Linksgrüngelbe.“ 

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Fotos: Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne): Flagge zeigen; Martin Hess (AfD)