© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/21 - 01/22 / 24. Dezember 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Mein rechter, rechter Platz ist frei
Christian Vollradt

Sag mir, wo du sitzt, und ich sage dir, wer du bist. Seit nach dem Sturz Napoleons die Vertreter des Adels in der französischen Deputiertenkammer den Platz rechts vom Präsidenten beanspruchten, während der Dritte Stand links von ihm saß, hat sich eine parlamentarische „Gesäßgeographie“ herausgebildet, die allen historischen Wandlungen zum Trotz auch über 200 Jahre später noch grob gültig ist. 

Im Bundestag steht diesbezüglich allerdings eine Änderung an. Die FDP rückt nach links, oder wie sie es verstanden wissen will: in die Mitte. Nun müssen in der kurzen Winterpause, bis am 10. Januar die erste Sitzungswoche im neuen Jahr beginnt, die Handwerker anrücken und an der blauen Bestuhlung des Plenarsaals herumschrauben. Die neue Sitzverteilung ist dort dann wie folgt – von links nach rechts vom Präsidium aus gesehen: Linksfraktion, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, CDU/CSU, AfD. Einem entsprechenden Antrag von SPD, Grünen und FDP stimmte vergangene Woche nach lebhafter Debatte auch die Linksfraktion zu. Während sich die AfD enthielt, stimmte die Union als einzige gegen den Antrag. Ihre Redner hatten sich zuvor empört, die Regierungsfraktionen wollten sie „an den Rand drängen“.

In der Tat saß die FDP immer rechts der Union. Auch in der Zeit der sozialliberalen Koalition. Im ersten Deutschen Bundestag saßen rechts der FDP noch die Deutsche Partei und rechts von dieser wiederum die Föderalistische Union, ein vorübergehender Zusammenschluß von Bayernpartei und Deutscher Zentrumspartei. Den äußersten rechten Rand bildeten damals die Fraktionslosen, während ganz links außen noch die KPD saß. Als die Deutsche Partei 1961 aus dem Bundestag verschwand, begannen die gut zwei Jahrzehnte mit drei Fraktionen. 1983 endete dann die Zeit dieser Ära. Die Grünen besetzten die Plätze zwischen SPD und CDU/CSU, also dort, wo 30 Jahre zuvor für eine Legislaturperiode noch der Gesamtdeutsche Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE) gesessen hatte.

Thema eines Antrags im Plenum war die Sitzordnung zuletzt im März 1995. Mit ihm wollten die Initiatoren – Abgeordnete von SPD, Grünen und PDS – die Beschlußempfehlung des Ältestenrates über die Gestaltung im neuen Plenarsaal des Reichstags ändern und „die derzeitige kreisrunde Sitzordnung im Bonner Parlament zugrunde“ legen. Vergeblich. Mit 324 Nein- zu 306 Ja-Stimmen bei zwei Enthaltungen fiel das Anliegen durch, es blieb beim Halbrund.

Schon 1956 wurde dem FDP-Abgeordneten Max Becker die Frage gestellt, ob seine Fraktion künftig lieber rechts oder links von der CDU/CSU sitzen wolle, nachdem 16 seiner Kollegen, die sogenannte Euler-Gruppe, bei den Liberalen ausgetreten waren. Die Antwort des hessischen Politikers: „Ich pflege Politik mit dem Kopf zu machen, nicht mit dem Gegenteil.“ Der Umkehrschluß, seine heutigen Nachfolger in der FDP würden von diesem Grundsatz abweichen, ist natürlich unzulässig.