© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/21 - 01/22 / 24. Dezember 2021

Grüße aus … Santiago de Cuba
Das Fest fällt aus
Alessandra Garcia

Das Mißtrauen der kubanischen Staatsmacht gegen die eigene Bevölkerung wächst gerade in Zeiten der Not ins Unermeßliche. Oder positiv ausgedrückt, das Regime in Havanna traut den von ihm seit mehr als sechs Jahrzehnten unterdrückten Menschen nicht nur zu, sich aus eigener Kraft mit den zum Überleben benötigten Mitteln zu versorgen, sondern sich auch noch mit der Revolutionspolizei auseinanderzusetzen. Anders ist eine ganze Serie von Razzien nicht zu erklären, die kurz vor dem Weihnachtsfest in mehreren Dörfern bei Santiago de Cuba durchgeführt wurden. Anlaß war eine spurlos verschwundene Kuh einer Produktionsgenossenschaft.

Angesichts der Lebensmittelknappheit war jedem klar, was mit dem armen Tier passiert war: Ein paar geschäftstüchtige und risikobereite Männer – die Tötung eines Rindviehs wird auf Kuba noch immer mit vielen Jahren Gefängnis bestraft – hatten es geschlachtet, mit einem Lastwagen oder Ochsengespann irgendwo in die Berge transportiert, schnell komplett zerlegt und das Fleisch kiloweise verkauft. Welcher Kubaner kann schon widerstehen, wenn ihm frisches Rindfleisch angeboten wird, und dazu noch zu einem relativ vernünftigen Preis?

Rindfleischdiebtstahl? Ihren unzufriedenen Untertanen trauen die Kommunisten alles zu. 

Dies dachte sich auch der mit der Aufklärung des Rindviehdiebstahls beauftragte Polizeichef und marschierte wie einst die Batista-Schergen mit zwanzig Mann pro Haus in die Dörfer ein und inspizierte ohne jegliche schriftliche Erlaubnis die Kühlschränke und Kühltruhen. Zwar entdeckten die Uniformierten kein frisches Rindfleisch, aber dafür abgepackte Fleischbeutel aus den Devisengeschäften.

Vorsichtshalber wurde alles zur genauen Prüfung beschlagnahmt und samt den protestierenden Eigentümern zur Polizeistation abtransportiert. Selbst vorhandene Kaufbelege aus den Geschäften wurden nicht akzeptiert, denn auch diese könnten ja gefälscht sein. Ihren unzufriedenen Untertanen trauen die Kommunisten alles zu. Außerdem wurden überzählige Gasflaschen eingezogen und ähnliches Verdächtiges wie Rum, den es seit Wochen nur noch in Devisengeschäften gibt und der daher als gestohlen angesehen wurde.

Wiederbekommen haben die Menschen nichts. Auch das rechtmäßig erworbene Fleisch nicht, selbst wenn die Verkaufsstelle den Kauf bestätigte. Denn das sei ja nach einer Nacht auf der Polizeistation, in der es keine Kühltruhen gibt, als verdorben anzusehen, argumentierten die Uniformierten, verwiesen auf den Veterinär und grinsten still in sich rein. Alles, was für ein Fest benötigt wurde, stapelte sich in der Station. Die Idee des Polizeichefs hat zumindest ihnen das Neujahrsfest gerettet. Und das zieht sich ja bekanntlich in den 1. Januar, jenen Tag, an dem das Regime den Sieg seiner Revolution von 1959 feiert.