© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/21 - 01/22 / 24. Dezember 2021

Enttäuschte Hoffnungen
20 Jahre Euro-Bargeld: Statt einer verläßlichen gibt es nun eine inflationierte Unionswährung
Joachim Starbatty

Als am 1. Januar 2002 der Euro als Bargeld eingeführt wurde, sprachen diejenigen, die an der D-Mark festhalten wollten, von einer zweiten Währungsreform. Mit der Währungsreform am 18. Juni 1948 wurden die inflationierte Reichs- und Rentenmark (RM) aus dem Verkehr gezogen und darauf lautende Geldvermögen nahezu völlig entwertet: Aus 1.000 RM wurden 65 DM. Die zahlreichen Euro-Befürworter sahen darin eine Verleumdung der neuen EU-Gemeinschaftswährung – doch welche Verkennung der Tatsachen.

Diese Währungsreform und die D-Mark brachten den Deutschen der drei Westzonen und der späteren Bundesrepublik Freiheit. Da der damalige Direktor für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, Ludwig Erhard, zugleich das amtliche Bewirtschaftungssystem (Lebensmittelkarten usw.) abgeschafft hatte, waren sie nicht länger Behörden ausgeliefert, die bestimmten, was für den Unterhalt der Bevölkerung zu produzieren und wie dies zu verteilen sei. Bei der Zugehörigkeit zur Europäischen Währungsunion (EWU) ist es umgekehrt: Die Bürger verlieren Freiheit, weil ihre Regierungen ihre Hoheitsgewalt über Zinsen und Wechselkurse abgeben.

Wegen des fehlenden Wechselkursventils sind sie dann bei mangelnder internationaler Konkurrenzfähigkeit gezwungen, sie nicht über Abwertung ihrer nationalen Währung, sondern über Arbeitslosigkeit und sinkende Löhne zurückzugewinnen. Die Deutsche Bundesbank als Hüterin der Währung richtete ihre Politik an der Sicherung der Geldwertstabilität aus. So wurde die D-Mark neben dem Schweizer Franken und dem US-Dollar zu einer begehrten internationalen Währung. Ja, sie überflügelte den US-Dollar noch, da sie ihm gegenüber mehrfach aufwertete: 1953 mußten 4,20 DM für einen Dollar gezahlt werden – vierzig Jahre später waren es nur noch 1,65 DM.

Bei Beginn der EWU wurde die beste Währung der Welt gegen den Euro eingetauscht, der seine Qualität erst noch beweisen mußte. Es wurde, wie der damalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) sagte, Gewißheit gegen Hoffnung getauscht. Im Entscheidungsgremium der neu geschaffenen Europäischen Zentralbank (EZB), dem Zentralbankrat, hatten alle Mitgliedstaaten, ob klein oder groß, eine Stimme – eine in der Welt bislang ungewöhnliche Konstruktion. Ob sich dieses Gremium wie die Bundesbank der Geldwertstabilität verpflichtet fühlte, mußte sich erst noch herausstellen. Die Bürger, die mit dem neu geschaffenen Geld bezahlten, nannten den Euro „Teuro“, weil sie oft weniger Waren in ihrem Einkaufswagen hatten als zuvor. Doch kann man dies nicht dem Tausch der D-Mark gegen den Euro anlasten, genausowenig wie bei einem Tausch von D-Mark gegen Dollar oder Franken. Vielmehr werden Anbieter von Waren die Gelegenheit genutzt haben, während der Zeit der Unsicherheit – was ist eigentlich das neue Geld wert? – die Preise nach oben aufzurunden. Doch entscheidet sich genau jetzt, ob der Euro zum „Teuro“ wird.

Es knirscht und kracht im Gebälk der Währungsunion

Die EWU umfaßt inzwischen 19 Mitgliedstaaten, die alle weiterhin ihre nationalen Interessen verfolgen. Dafür werden die Regierungen auch gewählt. Doch ist bei unterschiedlichen Interessen eine Währungsunion dauerhaft gefährdet. Keine Währungsunion hat Bestand, wenn ein Teil der Mitgliedstaaten eine lockere Haushaltspolitik verfolgt und dabei Schulden in Kauf nimmt, während ein anderer Teil an einer insgesamt soliden Haushaltspolitik fest- und den Schuldenstand niedrig hält. Vor der Währungsunion konnten Ab- und Aufwertungen solche unterschiedlichen Positionen kompensieren. Wenn diese Möglichkeit entfällt, knirscht und kracht es im Gebälk der Währungsunion, bis überschuldete Mitgliedstaaten aus der Währungsunion ausscheiden.

Als die Währungsunion im Frühsommer 2012 vor einer Zerreißprobe stand und die interessierte Öffentlichkeit mit dem Ausscheiden einzelner Euro-Mitgliedstaaten rechnete, ist der damalige EZB-Präsident Mario Draghi auf Geheiß der Politik vorgeprescht. Er hat zugesichert, daß die EZB ihre Geldschöpfungsmöglichkeiten zur Sicherung der Währungsunion nutzen werde – „whatever it takes – was auch immer es kostet“. Seitdem hilft die EZB überschuldeten Staaten bei der Finanzierung ihres Staatshaushalts über eine umfassende Bürgschaftserklärung und den Ankauf von Staatsanleihen. Natürlich nicht unmittelbar, das ist ja vertraglich verboten. Sie umgeht das Verbot, indem sie Staatsanleihen auf den Sekundärmärkten, etwa von Banken oder Investoren, aufkauft.

Für das vormalige deutsche Mitglied im Direktorium der EZB Jürgen Stark sind dieses Bekenntnis von Draghi und die daraus resultierende Politik der „Gamechanger“ in der EWU. Seitdem sehen die Führung der EZB und die Mehrheit der Mitgliedstaaten im Zentralbankrat es als ihre vordringliche Aufgabe an, die Risse innerhalb der Eurozone durch eine wundersame Geldvermehrung zu übertünchen. Diese hält die Zinsen für die überschuldeten Staaten niedrig und bewahrt so die Eurozone vor einem Auseinanderbrechen. Wenn die EZB von dieser Politik abwiche, würden sich wieder Risse in der Währungsunion ausbreiten. Nun sind die Zeiten der Preisstabilität vorbei. Doch statt die sich abzeichnende Inflation zu bekämpfen, läßt die EZB ihre Stäbe Begründungen schreiben, warum sie untätig bleibt.

Unsere Politiker sehen zu, wie die EZB Inflation, die unser Erspartes auffrißt, duldet, um nicht den Bruch der Währungsunion zu riskieren. Erstaunlich ist, daß und wie die Deutsche Bundesbank „20 Jahre Euro“ als Frucht gemeinsamer Bemühungen feiern will. In einer Presseerklärung umreißt sie die Konturen einer großangelegten PR-Show. Sie ist offensichtlich stolz darauf, daß sie nach ihrer Entmachtung einen wesentlichen Anteil an der Etablierung des Euro hatte. Und nun will sie der Öffentlichkeit von diesen Taten und den Vorteilen des Euro berichten. Sie verschweigt in ihrer Presseverlautbarung, daß drei verantwortliche deutsche Repräsentanten zurückgetreten sind: Jürgen Stark, Sabine Lautenschläger und Jens Weidmann, weil sie die Politik der EZB nicht länger mittragen wollten.

Sie hatten die Hoffnung verloren, daß die EZB ihrem gesetzlichen Auftrag nachkommen werde. Weidmanns Nachfolger an der Bundesbank-Spitze, der Volkswirt Joachim Nagel, gilt als „stabilitätsorientierter Sozialdemokrat“ – doch im EZB-Rat hat der frühere KfW-Vorstand auch nur eine von 25 Stimmen. Das ist nach zwanzig Jahren Euro das traurige Resultat des Tausches von Gewißheit gegen Hoffnung – inflationiertes statt verläßlichem Geld.






Prof. Dr. Joachim Starbatty ist Ökonom und war bis 2019 Abgeordneter des EU-Parlaments.