© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/21 - 01/22 / 24. Dezember 2021

Zeitschriftenkritik: Philosophie Magazin
Identitätspolitik, Skepsis und Zwang
Werner Olles

Svenja Flaßpöhler, Chefredakteurin des zweimonatlich erscheinenden Philosophie Magazins, das gerade seinen 10. Geburtstag feiert, beschreibt im Editorial der aktuellen Ausgabe (Dezember/Januar, 1/2022), warum die „drängenden politischen Fragen von fundamentalen existentiellen Fragen nicht zu trennen sind“. Doch kommen neben dieser Thematik auch die kritischen Einwürfe im Heft nicht zu kurz. So nimmt Norman Marquardt die „Identitätspolitik à la Amazon“ unter die Lupe. Viel zu wenig ist hier bekannt, wie geschickt Amazon über sein Support-small-business-Programm Diversität und damit eine „hochgradig kuratierte Identitäts- und Sichtbarkeitspolitik“ als Geschäftsmodell betreibt. Was wie Altruismus aussehe, sei jedoch in Wahrheit „progressiver Neoliberalismus“. Für Serienproduktionen und Prime-Filme gelten klare Diversity-Richtlinien; Produktionen, die sich nicht an die Vorgaben halten, werden nicht mehr gekauft. Trotz dieser Eingriffe in die Kunstfreiheit und das Filmhandwerk werde dieser Schulterschluß zwischen neuen sozialen Bewegungen und einflußreichen Unternehmen nicht als Problem gesehen, obwohl es dadurch gelänge, ein neues Bündnis zwischen Wall Street und Woke-Business auf der einen Seite und feministischen, radikal-ökologischen und antirassistischen Gruppen zu schmieden. Jeff Bezos spiele den „wohlwollenden Patriarchen“, der sich der Schwächsten annehme, was jedoch deren Abhängigkeit von ihm nur verstärke. Die Komplexität des Miteinanders werde auf ein handhabbares Maß reduziert, das in eine Ästhetisierung der politischen Ökonomie münde, aus der die Menschen und ihre Widersprüche allerdings herausgekürzt seien.

Keine bahnbrechenden Erkenntnisse bringt das Streitgespräch zwischen dem Philosophen Markus Gabriel und dem Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Während Lauterbach wie gehabt auf die staatliche Hand setzt, kritisiert Gabriel diese Haltung und beruft sich auf die Grundstruktur der Aufklärung mit ihrem Werterahmen Freiheit, Gleichheit und Solidarität. Er warnt davor, die Gesellschaft zu überfordern, da das Krisenmanagment zwangsläufig an Grenzen stoße und zu scheitern drohe. Der Philosoph plädiert für eine „Ethik des Nichtwissens“ und eine gesunde Skepsis gegenüber der Wissenschaft. Für Lauterbach sind Skeptiker hingegen grundsätzlich „Menschen, die im Netz fehlinformiert wurden“.

Lesenswert ist der Beitrag der Philosophin und Schriftstellerin Nora Bossong über „Baerbocks Taschenspielertricks“. Sie kritisiert die Behauptung der neuen Bundesaußenministerin, daß Verbote die Innovation fördern würden als „sanften Paternalismus“. Doch sei Zwang, selbst wenn er scheinbar demokratisch legitimiert sei, niemals wünschenswert.

Kontakt: Philomagazin Verlag, Brunnenstr. 143, 10115 Berlin. Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, ein Jahresabo 48 Euro.  www.philomag.de