© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/21 - 01/22 / 24. Dezember 2021

CD-Kritik: Rudolf Wagner-Régeny
Linie und Form
Jens Knorr

Noch in den 1980ern wurden von seinen Schülern und Kollegen, längst selbst Professoren und Dozenten an der Berliner Musikhochschule „Hanns Eisler“, nicht ganz jugendfreie Anekdoten von und über Rudolf Wagner-Régeny kolportiert, bis zu seinem Tode 1969 Professor für Komposition ebendort. Der 1903 in Siebenbürgen geborene Wagner hatte das Dritte Reich mit Blessuren überstanden. Der Lehrer und Mentor einer Generation von Komponisten während der Aufbau- und Konsolidierungsjahre der DDR war immer doch solitär geblieben, dessen Persönlichkeit und Komponieren sich gängiger Einordnung entzieht.

Wagner-Régenys Oratorium „Genesis“, 1955/56 auf Texte der Vulgata komponiert, nähern sich Altistin Michaela Selinger, Rundfunkchor und Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Johannes Kalitzke respektvoll und ohne kirchenmusikalische Attitüde, als könne schon die geringste Unbedachtheit Klarheit und Durchsichtigkeit der musikalischen Faktur trüben und gereinigte Gefühle verunreinigen. Den neusachlichen, dabei durchaus schwelgerischen Stil der „Orchestermusik mit Klavier“ von 1935 konterkarieren die als Ballettmusik konzipierten „Mythologischen Figurinen“ und die „Fünf französischen Klavierstücke“, beide von 1951 und in Reihentechnik mit variablen Metren geschrieben. Ein Solitär auch der Mann am Klavier: Steffen Schleiermacher.

Sparsames, essentielles Komponieren, Befragen der althergebrachten musikalischen Mittel, das zeichnet den späten Stil Wagner-Régenys aus – ein Lehrer par excellence.

Rudolf Wagner-Régeny Genesis Capriccio 2021  www.capriccio.at