© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/21 - 01/22 / 24. Dezember 2021

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Der Text des Weihnachtsliedes „In Dulci Jubilo“ stammt von dem deutschen Mystiker Heinrich Seuse. Er soll ihn geschrieben haben, nachdem er, in tiefe Verzweiflung geraten, plötzlich den Himmel offen sah und die Engel diesen Gesang anstimmten.

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Ich lege keinen Wert auf die Hinweise von Microsoft Word zu stilistischen Schwächen meiner Texte!

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In der Stadt Nanterre sind vergangene Woche Teilnehmer einer Prozession mit Rufen wie „Allahu Akbar!“ oder „Ihr seid Unreine!“ oder „Dies ist nicht mehr euer Land!“ angegriffen worden. Der zuständige Innenminister Gérald Darmanin bezeichnete die Vorgänge als „unzulässig“. Eine schwache Reaktion, wie die Betroffenen vor Ort feststellten, die von Zerstörungen, Diebstählen in Kirchen und Profanierungen berichten, an denen auch Vertreter der extremen Linken beteiligt sind. Im vergangenen Jahr waren Christen und christliche Stätten in Frankreich wieder das Hauptziel derartiger Attacken auf religiöse Stätten: 686 Fälle gegenüber 523 antisemitischen und 171 antimuslimischen.

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Im US-Bundesstaat Vermont wurden alle öffentlichen Schulen per Gesetz verpflichtet, ihren Zöglingen ab dem 12. Lebensjahr Präservative auszuhändigen.

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Wie erst jetzt bekannt wurde, gab es innerhalb des FBI den Verdacht, daß der Film „It’s a Wonderful Life“ (1946, Hauptrolle: James Stewart; Regie: Frank Capra) zersetzend wirke und kommunistische Propaganda enthalte. Die deutsche Version des Streifens trägt den Titel „Ist das Leben nicht schön?“ und gilt als Klassiker des Weihnachtsprogramms. Erzählt wird die Geschichte George Baileys, Durchschnittsbürger einer amerikanischen Kleinstadt, der ausgerechnet an Heiligabend auf sein – scheinbar – mißratenes Leben zurückblickt und sich entschließt, Selbstmord zu begehen. Davon kann ihn der Engel Clarence mit einiger Mühe abhalten, indem er Bailey zeigt, wie sich alles ohne ihn entwickelt hätte und daß er trotz aller gescheiterten Träume Grund zur Dankbarkeit hat. Was das Mißtrauen der Behörde weckte, war die Art und Weise, wie Henry F. Potter, der reichste Unternehmer des Ortes, gezeichnet wurde, und daß der Film ganz offensichtlich Kritik an den Methoden der Großbanken übte. Die Beamten deuteten das als Indiz für rote Zersetzung und Infiltration und den Versuch, die amerikanische Gesellschaft zu spalten. Im nachhinein wirkt der Vorgang hysterisch und bizarr, aber doch nicht untypisch. Behörden, die mit geistigem Staatsschutz befaßt sind, neigen notorisch zu Überreaktionen, zum Ausmalen von Feindbildern in möglichst grellen Farben und der Annahme, daß allüberall Fünfte Kolonnen auf das Angriffssignal warten. Was natürlich damit zu tun hat, daß sie ihre Existenzberechtigung regelmäßig nachweisen müssen.

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Einfache Wahrheiten I: „Ich liebe mein Land, zu viel von mir tut ihm nicht gut.“ (Sophia Thomalla) Einfache Wahrheiten II: „Die Behauptung, Menschen anderer Hautfarben sähen alle gleich aus, und die Unfähigkeit, sie in einer Gegenüberstellung korrekt auseinanderzuhalten, sind Merkmale strukturellen Rassismus, die sich individuell äußern.“ (Frauke Steffens, beide in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Ausgabe vom 10. Dezember 2021)

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Die Chancen, die Friedrich Merz nach seiner Wahl zum Vorsitzenden der CDU haben wird, sind nicht leicht einzuschätzen. Zweifellos spricht das Votum der Basis für einen Rest an gesunden Instinkten. Ob man die aber auch im Wahlvolk voraussetzen darf, steht auf einem anderen Blatt. Hinzu kommt Merzens hektisches Abgrenzungsbedürfnis nach rechts, das ihm vor allem im Osten der Republik Probleme bereiten wird. Die Herausforderung dürfte insofern größer sein als diejenige, der sich „Kandidaten der Herzen“ wie Franz Josef Strauß oder Edmund Stoiber gegenübersahen.

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Zwei Anmerkungen zur veränderten Sitzordnung im Parlament: 1. Die FDP nahm seit 1957 die Plätze auf dem rechten Flügel ein. Das hatte nicht nur mit dem Verschwinden kleinerer „nationaler“ Gruppierungen zu tun, sondern entsprach der Sachlage. Denn die Freien Demokraten standen deutschlandpolitisch und wirtschaftspolitisch am weitesten rechts. Ein Schlaglicht wirft darauf, daß Erich Mende, einer ihrer wichtigsten Nachwuchspolitiker, der regelmäßig scharfe Kritik an den Siegermächten äußerte und (auf Wunsch des aus der FDP hervorgegangenen ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss) bei staatlichen Anlässen selbstbewußt das (entnazifizierte) Ritterkreuz anlegte, das ihm 1944 verliehen worden war. – 2. Der traditionelle Vorzug der Rechten hat nichts mit Willkür zu tun, sondern darf als Universalie gelten. Wahrscheinlich liegt der Ursprung in der Rechtshändigkeit der meisten Menschen. Weshalb bis heute die Rechte ganz selbstverständlich als Schwur- und Grußhand gilt. Der Handschlag zur Besiegelung – von der Freundschaft bis zum Handelsabschluß – hatte allerdings unter den indoeuropäischen Völkern seit je eine besondere Bedeutung. Ähnliches darf man für die Bewegungsrichtung im Spiel oder Kult annehmen.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 7. Januar in der JF-Ausgabe 2/22.