© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/21 - 01/22 / 24. Dezember 2021

Die Anti-Sisi
RTL+ entwirft mit der Neuverfilmung des Weihnachtsklassikers ein Gegenmodell der braven Prinzessin
Florian Werner

RTL+ nimmt die Weihnachtszeit zum Anlaß, um einen echten Film-Klassiker wiederaufleben zu lassen. Mit der Serie „Sisi“ rufen die Produzenten Erinnerungen an idyllische Festtage unterm Weihnachtsbaum wach, an familiäres Gänseessen und fröhliche Schlittenfahrten – und eben auch an das Idealbild einer Prinzessin, das alle Jahre wieder über die heimischen Fernsehbildschirme flimmert. Gemeint ist niemand anderes als Romy Schneider, die in ihrer Rolle als österreichische Kaiserin Elisabeth das Publikum seit 1955 zuverlässig zum Dahinschmelzen bringt.

Mit ihrem natürlichen und unverstellten Charme hatte die damals noch blutjunge Schauspielerin einen Archetypen erschaffen, an dem sich in der Folgezeit alle Prinzessinnen, ob nun fiktiv oder nicht, messen lassen mußten. Und um es gleich vorwegzunehmen: Nein, die Serien-Sisi reicht natürlich nicht an Romy Schneider heran. Aber das soll sie auch gar nicht. 

Im Gegenteil: Die sechs Folgen scheinen von Anfang an darauf ausgelegt zu sein, mit allen Sisi-Klischees zu brechen. Man kann sich des Verdachts nicht erwehren, daß sich Regisseur und Drehbuchautor hier an einer „Anti-Sisi“ versucht haben. Denn tatsächlich stellt die österreichische Traumprinzessin über die gesamten sechs Folgen der ersten Staffel ein Gegenteil-Modell dar.

Statt der mariengleichen Herzogin aus Bayern präsentiert uns „Sisi“ gleich in der ersten Szene eine masturbierende Landadelige, die keinen Hehl daraus macht, daß sie eigentlich immer nur an das Eine denkt. Sigmund Freud jedenfalls hätte seine wahre Freude an dem Mädchen. Das gilt auch für Sisis Gemahl Kaiser Franz. Statt des weisen Staatenlenkers stellt uns die Serie einen jungen Mann mit Aggressions-Problemen vor, der am laufenden Band Leute schlägt, erschießt oder erhängt. Wen wundert es da, daß der epochemachende Wortwechsel „Sisi! – Franz!“ nicht ein einziges Mal fällt? Das war den Serien-Machern offenbar zu kitschig.

Der Hochadel erscheint als Plebs

Stattdessen nimmt sich die frischgebackene Kaiserin eine Prostituierte zur Hofdame, um ihr Sexleben zu verbessern – welches dann auch ausführlich bebildert wird. Sisi und Franz auf dem Bett. Sisi und Franz auf dem Tisch. Sisi und Franz an der Tür. Und weil es sein muß – Sisi und Franz an der schönen Kuckucksuhr. Selbst schuld, wer da die Kleinen mitschauen läßt.

Jenseits erster Erwartungen und Vorlagen-Maßstäbe kann der Mehrteiler allerdings in der Tradition von „Bridgerton“ und „Downton Abbey“ durchaus produktionstechnisch punkten. Vor allem das Kostümbild kann sich sehen lassen, da es das große Vorbild an manchen Punkten sogar überflügelt. Wenn Kleider wirklich Leute machen würden, dann stünden wir mit Sicherheit vor einem würdigen Nachfolger. Doch die Hochglanzoptik kann nicht überstrahlen, daß die Serie auf einer ganz grundsätzlichen Ebene schief gewickelt ist. Denn weder die Kaiserin noch der Kaiser, noch der gesamte Hofstaat scheinen sich in der fiktiven Welt der Donaumonarchie besonders wohl zu fühlen. Keiner der Schauspieler kann glaubwürdig vermitteln, daß die schweren Vorhänge in den Ballsälen, die Paradeuniformen der Prinzen und Generale und die durchs Bild brausenden Kutschen mehr sind als bloße Kulisse. Die versammelte Mannschaft macht eher den Eindruck, als wünschte sie sich Österreichs Bundespräsident Van der Bellen in die Wiener Hofburg zurück.

Während sich Romy Schneider nicht nur in ihre Rolle als Prinzessin, sondern in eine ganze Monarchie hineingefühlt hat, hadern die Schauspieler in der Neuverfilmung selbst mit den kleinsten royalen Details. Davon zeugt die Fixierung der Erzählung auf die gewöhnlichen, fast schon närrischen Seiten der handelnden Charaktere. Diese Perspektive befremdet, weil sie den österreichischen Hochadel wie Plebs erscheinen läßt. Dem Sprichwort nach gibt es für den Kammerdiener keine Helden. Das liegt aber – wie schon Hegel einst bemerkt hat – nicht daran, daß der Held kein Held, sondern daran, daß der Kammerdiener eben nur ein Kammerdiener ist. So können wir die Wittelsbacher Traumprinzessin zwar aufs neue bewundern, aber eben nur durch die Brille von Kammerzofen und Hofdienern.

Foto: Dominique Devenport und Jannik Schümann als Sisi und Franz: Das aktuelle Österreich schimmert zu oft durch