© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/21 - 01/22 / 24. Dezember 2021

„Es ist immer gut, Wahrheiten darzustellen“
Der Politikwissenschaftler Konrad Löw wird 90 Jahre / Unbeirrbarer Streiter gegen den Totalitarismus von rechts und links
Gernot Facius

Umstritten“ ist heute die inflationär oder soll man sagen: leichtfertig gebrauchte Vokabel zur Diffamierung und Ausgrenzung unliebsamer Meinungen und Personen. Wen das Verdikt trifft, ist schnell aus dem Diskurs ausgesperrt. Wer an geschichtspolitischen Dogmen kratzt, geht ein hohes Risiko ein: Er wird stigmatisiert und an den Medien-Pranger gezerrt. Mancher zieht sich deshalb ängstlich zurück.  

Nur Kämpfernaturen lassen sich nicht beirren und wagen die Auseinandersetzung mit den publizistischen Scharfrichtern. Zum Beispiel Professor Konrad Löw. Der Jurist und Politologe (1931 geboren) hat die letzten Jahre des NS-Regimes noch bewußt erlebt, er kann aus eigenen Beobachtungen und den Berichten von Verwandten und Bekannten über die dunkle Zeit urteilen, ganz nach dem Motto „Zurück zu den Quellen“. Wie nur noch wenige seiner Zunft zeigt er sich in der Lage, dem Kollektivschuldvorwurf souverän entgegenzutreten. Löw ist ein gründlicher Rechercheur, stets auf der Suche nach noch lebenden Zeitzeugen, wohlwissend, daß viele Nachgeborene längst Opfer einer gigantischen, aus Steuermitteln finanzierten „Bewältigungsindustrie“ geworden sind, die Fakten gerne negiert. Zu Löws Buch „Das Volk ist ein Trost. Deutsche und Juden 1933–45 im Urteil jüdischer Zeitgenossen“ (2005) hat der Holocaust-Überlebende Professor Alfred Grosser geschrieben: Ein „gutes“, ein „beeindruckendes“, ein „mutiges“ Werk“. Viel zu selten werde berichtet, wie viele Juden von deutschen Nichtjuden vor den Nazis versteckt worden seien und so überlebt hätten. Der in Paris lebende Politologe, in Frankfurt am Main geboren, Jude, NS-Opfer und Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, ist Löws „Vorbild und Ansporn“. Grosser ermunterte den gebürtigen Münchner, sich durch ungerechtfertigte Kritik nicht beirren zu lassen: „Laßt uns trotzdem weiterkämpfen!“ Am 22. Februar 2006 stellte Grosser Löws Buch im Münchner Presseklub vor: „Es ist immer gut, Wahrheiten darzustellen.“ Und bei seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 3. Juli 2014 kam der prominente Gast aus Paris auf die Studien, „unter anderem von einem meiner Kollegen aus München, die zeigen, wie viele nicht-jüdische Deutsche jüdischen Deutschen geholfen haben, auf viele Art und unter Gefahr“, zurück. 

Schnell hatte sich im Netz herumgesprochen, wer dieser Kollege denn war. Eben jener Professor aus Bayern, der die Neue Zürcher Zeitung aus dem Pogrom-Jahr 1938 zitierte: „Die Bevölkerung, zur Ehre des deutschen Volkes sei es gesagt, zeigt sich zum allergrößten Teil über diese Exzesse empört, und viele Leute halten mit offener Kritik nicht zurück.“ In seinen Schriften trat er auch gegen den Kult um den „Humanisten“ Karl Marx auf. Systematisch werde alles Belastende ausgeblendet. Als „Marx-Töter“ wurde Löw beschimpft, im kommunistischen Prag sperrte man ihn, er war auf Einladung der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften an die Moldau gekommen, fünfzig Tage ein. Aber wieder zu Hause überzeugte er mit Fakten, leuchtete den Hintergrund der Freunde Marx und Engels aus, und brachte selbst ehemalige SED-Spitzenfunktionäre zum Nachdenken. 

Günter Schabowski, einst Chefredakteur des Neuen Deutschland, bekannte nach der „Wende“: „Vielleicht hätte mich die Radikalität von Löw in einer früheren Phase abgeschreckt. Es war eine notwendige Stufe der Enttäuschung. Einmal in Gang gekommen, führte sie allerdings zur Konsequenz, die mich heute sagen läßt, nicht erst mit Stalin, sondern mit dem Freundespaar aus Trier und Wuppertal begannen Misere und Höllensturz der wissenschaftlichen Weltverbesserung. (...) Löws Schriften lieferten mir befreiende Röntgenaufnahmen der roten Säulenheiligen.“ In der Tat, die Bücher des Professors gaben Anstoß zur fälligen Auseinandersetzung mit dem totalitären Kommunismus und seinen Wurzeln, einer Auseinandersetzung, die „bewußt oder fahrlässig verhindert wurde durch die monomane und isolierte Beschäftigung mit dem anderen, dem ‘braunen’ Totalitarismus“, wie vor zwei Jahrzehnten in der CDU-nahen Politischen Meinung aus der Feder von Klaus Hornung zu lesen war. „Allzu lange hatte ja die Marx-Apologetik den angeblichen ‘realen Humanismus’ des Propheten erfolgreich als Passepartout verwendet, dem gegenüber Löw die totalitäre Essenz des ‘Kirchenvaters’ überzeugend aufzuweisen versucht, die dann durch die weitere theoretische Ausformulierung und praktische Realisierung Lenins zur Grundlage von Despotie, Unterdrückung, Terror und (Massen-)Mord werden konnte.“ 

Daß der antitotalitäre Konsens aufgeweicht, ja aufgekündigt wurde, empfindet Professor Löw als schwerwiegend: „In der jungen Bundesrepublik war es selbstverständlich, daß der Maßstab für die Beurteilung von Menschen und Mächten die freiheitliche demokratische Grundordnung ist. Doch heute kann es sein, daß Menschen geehrt und Parteien hofiert werden, die Freiheit und Demokratie bekämpft haben, hofiert vielleicht bloß deshalb, weil sie von ‘Rechten’ bekämpft worden sind, so Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.“ 

Löw will, wie er in seiner Autobiographie „Laßt und trotzdem weiterkämpfen“ gelobt, weiter gegen Ignoranz, Gleichgültigkeit und Feigheit auftreten. Für ihn gebe es keine Alternative. Und er verweist auf seine „Impulsgeber“: 1. Der Dekalog mit dem Gebot, tunlichst der Verleumdung zu widersprechen, 2. Die Würdigung der Vorfahren, 3. Der dankbare Respekt vor den Zeitzeugen der NS-Zeit, die nicht selten unter Lebensgefahr ihre Erfahrungen und Beobachtungen zu Papier gebracht haben. „Summa: ein klares Ja zum Appell „Laßt uns trotzdem weiterkämpfen!“ Am 25. Dezember, dem ersten Weihnachtstag, kann Professor Konrad Maria Aloisius Löw seinen 90. Geburtstag feiern.