© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/21 - 01/22 / 24. Dezember 2021

Der Flaneur
Mal eben einkaufen
Elke Lau

Seit einigen Wochen sind die Laternen vor unserem Haus defekt, heute werden sie repariert. Auf Nachfrage erklärt uns ein freundlicher Stadtbediensteter die Arbeitsabläufe, bis ihn sein Kollege zur nächsten Lichtquelle pfeift. Wir lassen uns nicht abschütteln und folgen neugierig.

„Mein Mann reagiert nie auf mein Pfeifen“, sage ich augenzwinkernd und krame zwei Schokodrops aus der Tasche: „Hier, für fleißige Männer. Eigentlich soll man von Fremden nichts annehmen.“ 

„Gilt nur für Kinder“, antworten sie schmunzelnd, stopfen sich die Bonbons sofort in den Mund und winken uns lachend hinterher.

Wir machen uns auf den Weg zum Markt, holen beim Laubenpieper zehn Kilo Rote Bete und suchen danach den Supermarkt auf. Eine mißgelaunte Angestellte staucht gerade einen Kunden zurecht, dessen Maske ein Nasenloch unbedeckt gelassen hatte. 

Diese kriminelle Handlung lenkt sie vom Einräumen der Regale ab. Die Hackfleischportionen fallen ihr aus der Hand und rutschen über den Fußboden. Hastig hebt sie die Packungen auf und wirft sie ins Kühlregal. Hygiene?

Die Sängerin winkt fröhlich und lädt die überraschten Passanten zu einer Probe in den Dom ein.

Schwer beladen zieht sich unser Rückweg in die Länge. Es ist nach zehn Uhr, in der Fußgängerzone herrscht lebhaftes Gedränge. Radfahren verboten. Die Studenten, die zahlreich das Städtchen bevölkern, kümmern sich nicht um Verkehrsvorschriften. 

Wie der junge Mann auf Lastenfahrrad mit Elektroantrieb, der  jetzt in atemberaubendem Tempo an uns vorbeischrammt. Wir kommen glimpflich davon. Anders der ältere Herr mit Rollator: zwei jugendliche E-Rollerfahrer nieten ihn um. Während er sich mühsam aufrappelt, ertönt plötzlich eine glockenreine Altstimme: „Freude, schöner Götterfunken …“

Die Sängerin winkt den überraschten Passanten fröhlich zu. „Ich singe mich für das Konzert heute abend im Dom ein“, erklärt sie, „kommen Sie doch mit zur Probe“.

Die Zuschauer klatschen begeistert, einige folgen ihr. Unsere Einkäufe halten uns davon ab. Schade.