© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/22 / 07. Januar 2022

Wie wird’s?
Jahresvorschau: Wahlen kommen, Viren gehen – aber die Inflation, die bleibt bestehen
Paul Rosen

Das erste wichtige Ereignis des Jahres liegt bereits hinter uns, ohne daß es die Öffentlichkeit richtig wahrgenommen hätte. Regierungsamtliche Feierlichkeiten zum 20jährigen Jubiläum der Einführung des Euro als Bargeld gab es auch nicht – offenbar aus gutem Grund: Die Europäische Währungsunion ist zu einer Schuldenunion degeneriert. So stieg die Verschuldung der Euro-Länder seit der Bargeldeinführung von fünf auf 13 Billionen Euro. Und zuletzt meldete sich die Inflation mit einer Rate von fünf Prozent in Deutschland zurück. Inflation, Weichwährungspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und staatlich verordnete massive Preiserhöhungen im Energiesektor zum Klimaschutz gehen vor allem zu Lasten ärmerer Bevölkerungsschichten, was den Parteien der neuen Regierung aus SPD, Grünen und FDP bei den in diesem Jahr anstehenden vier Landtagswahlen Probleme machen könnte.  

Kanzler Olaf Scholz (SPD) gerät in eine Zwickmühle: Um Sympathien bei Arbeitnehmern, Rentnern und dem Mittelstand zu halten oder zu verbessern, müsste er auf EU-Ebene dafür sorgen, daß die EZB das Gelddrucken reduziert und die Zinsen anhebt – wie in den USA. Doch dagegen stehen Interessen von Frankreich und Italien, den größten Partnern der Währungsunion. In einem gemeinsamen Beitrag in der Financial Times sendeten Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der italienische Ministerpräsident Mario Draghi bereits Signale in Richtung Berlin: Sie wollen die Aufnahme guter Schulden zur Bekämpfung des Klimawandels und der Folgen der Corona-Pandemie begünstigen, indem die Stabilitätskriterien für den Euro weiter aufgeweicht werden. Besonders Macron braucht frisches Geld, um die im April anstehenden Präsidentschaftswahlen zu bestehen.

Gemengelage aus Corona-Maßnahmen und Klimapolitik

Gibt Scholz nach, reduziert er die Wahlchancen der Koalitionsparteien. Bleibt er hart, riskiert er Brüche im deutsch-französischen Verhältnis. Aber zunächst dürfte sich die neue Koalition bei einer wichtigen Personalie durchsetzen: Am 13. Februar tritt die Bundesversammlung zusammen. Die Chancen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf eine zweite Amtszeit stehen recht gut (siehe Beitrag Seite 5).

Der Reigen der Landtagswahlen beginnt am 27. März im Saarland. Dort liegt SPD-Spitzenkandidatin Anke Rehlinger in Umfragen deutlich vor Ministerpräsident Tobias Hans (CDU).   Der neue CDU-Vorsitzende Friedrich Merz ist hier auf einen Erfolg zur Festigung seiner Macht angewiesen. Rutscht die Wirtschaft weiter ab und bleibt die Inflation hoch, wären dies Steilvorlagen für den Wirtschaftsfachmann Merz. Allerdings droht Union und Ampel Ungemach von ganz anderer Seite: Die von Woche zu Woche stärker werdende Protestbewegung gegen die Corona-Politik der Bundesregierung könnte sich vielleicht in Mandaten für neue Parteien niederschlagen. Merz wird den Proteststrom wohl nicht auf die Unionsmühlen umleiten können, denn in der Corona-Politik vertritt die Union härtere Positionen als mancher Regierungspolitiker. Das gleiche Problem hat Merz beim Thema Geldwertstabilität: Es war seine CDU, die den Euro besonders heftig wollte. Da Unionspolitiker sich auf keinen Fall mit AfD-Stimmen wählen lassen oder regieren wollen, bleibt der CDU auf Dauer nur die selbstgewählte Verzwergung als Juniorpartner in linken Bündnissen.

Die letzten deutschen Atomkraftwerke gehen vom Netz 

Die Gemengelage aus Corona-Politik, Geldwert, Wirtschaft und Kosten der Klimapolitik dürfte auch die weiteren Wahlgänge bestimmen. Am 8. Mai wird in Schleswig-Holstein ein neuer Landtag gewählt. Umfragen sehen Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) deutlich hinter SPD-Herausforderer Thomas Losse-Müller. Spekuliert wird auf eine Ampelkoalition wie in Berlin oder ein rot-grünes Bündnis mit Unterstützung der dänischen Minderheit.

Die Wahl im mit 18 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen eine Woche später gilt als „kleine Bundestagswahl“. Die sich in Jahrzehnten in der Regierungsverantwortung ablösenden Parteien SPD und CDU haben einen beispiellosen Niedergang der Industrie, des Bildungssystems und eine verrottete Infrastruktur zu verantworten. Laut Umfragen kann sich Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), der Nachfolger des Unglücksraben Armin Laschet, nicht gegen SPD-Herausforderer Thomas Kutschaty durchsetzen. Aber bis zur Wahl geht noch einige Zeit ins Land, so daß sich die Lage mehrfach drehen kann, wie auch in Niedersachsen, wo am 9. Oktober der letzte große Wahlgang des Jahres stattfindet. Bisher werden Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) die besten Chancen auf eine Wiederwahl eingeräumt.

Ende 2022 werden in Deutschland die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet – ausgerechnet in dem Jahr, in dem die EU-Kommission die Kernkraft als nachhaltige Energie zur Bekämpfung des Klimawandels einstuft. 

Foto: Einfach mal die Glaskugel befragen: Es geht noch einige Zeit ins Land, so daß sich die Lage mehrfach drehen kann