© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/22 / 07. Januar 2022

Ländersache: Sachsen-Anhalt
Unterirdisch rekordverdächtig
Paul Leonhard

Wer hat die schönste Armschutzplatte im ganzen Land? Das fragten die Archäologen des Landesamtes für Archäologie und Denkmalschutz in Halle. Die Antwort war natürlich klar: Sachsen-Anhalt. Jenes mitteldeutsche Bundesland also, das aus Sicht seiner Bürger leider weniger durch Industrieansiedlungen auf sich aufmerksam macht als durch spektakuläre Bodenfunde, die 300.000 Jahre Menschenheitsgeschichte abdecken. Legendär ist seit Jahrzehnten die von Raubgräbern nahe der Stadt Nebra gefundene Himmelsscheibe, die als älteste bekannte konkrete Himmelsdarstellung gilt und heute als Teil des Unesco-Weltdokumentenerbes im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle zu bestaunen ist.

Egal ob an der Saale oder an der Elbe – in Sachsen-Anhalt müssen Bauarbeiter offenbar nur ihren Spaten in die Erde stechen, um anschließend die Arbeit wieder ruhen zu lassen, weil überall reiche Funde geborgen werden müssen. Für das vergangene Jahr wurden 750 archäologische Untersuchungen registriert, was ein neuer Rekord ist.

So ergaben Grabungen in Landsberg im Saalekreis Spuren von zwei mittelalterlichen Burgen: die Überreste der Burg Markgraf Dietrichs II. von Landsberg aus dem 12. und der Vorgängerburg aus dem 9. bis 11. Jahrhundert. In einem Maisfeld bei Eisleben wurden die Grundmauern einer Kirche freigelegt, die laut alten Urkunden vor mehr als 1.000 Jahren zu einer Kaiser- oder Königspfalz der Ottonen gehört hat. Nebenan wurde zudem ein Begräbnisplatz mit steinernen Grüften für die Adelsgeschlechter der Region entdeckt. Zu den äußerst seltenen Funden zählt ein Säuglingsgrab aus der entwickelten Aunjetitzer Kultur, also aus der Zeit zwischen 2000 und 1550 v. Chr., das beim Ausbau der Autobahn bei Friedrichsschwerz ans Tageslicht befördert wurde. 

Und die größte frühbronzezeitliche Siedlung Mitteleuropas befindet sich südlich von Magdeburg: das Ringheiligtum in Pömmelte, im Durchmesser und Aufbau gut vergleichbar mit dem englischen Stonehenge. Nach jüngsten Erkenntnissen von Archäologen soll es hier vor rund 4.200 Jahren einen Schädelkult gegeben haben. Daß man neben einem der Skelette einen zweiten Schädel gefunden habe, deute „auf einen Kopfkult hin, bei dem man die Schädel von Ahnen aufbewahrt und in einzelnen Fällen sogar Kopfjagd betreibt“, so Landesarchäologe Harald Meller gegenüber dem MDR.

Spektakulär war das Vorgehen, zu dem sich einst ein Team um Susanne Friedrich vom Landesamt für Archäologie entschloß, als sie ein bei Routineuntersuchungen bei Lützen gefundenes Massengrab kurzerhand komplett mit ins Labor nahmen: zwei Blöcke, jeweils 27 Tonnen schwer. Es sind Zeugnisse jener legendären Schlacht im Dreißigjährigen Krieg, bei der am 6. November 1632 der schwedische König Gustav Adolf fiel. Nach eingehenden Untersuchungen ist das Grab der 47 Toten jetzt im Landesmuseum in Halle zu besichtigen.

Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) freut sich über die Funde, die wie im Fall der identifizierten Kaiserpfalz „wichtige landesgeschichtliche Lücken“ schließen, aber auch davon künden, daß in Sachsen-Anhalt zumindest Straßen gebaut und Breitbandkabel verlegt werden.