© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/22 / 07. Januar 2022

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Abgefahren
Christian Vollradt

Das Jahr ist noch jung, und auch im politischen Berlin haben Bundestagswahl und Regierungswechsel gewisse Neuerungen mit sich gebracht. So sind allein 268 der 736 Bundestagsabgeordneten Neulinge. Das sind sogar mehr als zu Beginn der vergangenen Legislaturperiode, bei der immerhin mit dem erstmaligen Einzug der AfD fast eine gesamte Fraktion (98,9 Prozent) aus Erst-MdB bestand. Diesmal liegt bei der AfD-Fraktion der Anteil der „Frischlinge“ mit 28 Prozent sogar unter dem Durchschnitt des gesamten Parlaments. Den höchsten verbuchen Grüne und SPD mit 55,1 beziehungsweise 49,5 Prozent. 

Zu den Annehmlichkeiten, in deren Genuß die neuen Volksvertreter nun während der Sitzungswochen in Berlin häufiger kommen werden, gehört die Fahrbereitschaft des Bundestags. Jeder Abgeordnete kann sich eine der schwarzen Limousinen ordern, um zu einem dienstlichen Termin in der Hauptstadt chauffiert zu werden – oder von einem solchen nach Hause. Wer den Berliner Öffentlichen Personennahverkehr kennt, weiß, was solch ein Service bedeutet.   

Obwohl der Bundestag noch einmal 27 Mitglieder mehr hat, ist die Personaldecke beim Fahrdienst gleich geblieben. 255 Chauffeure sind dafür bei der damit beauftragten Bundeswehr-Fuhrpark-Service GmbH beschäftigt, einem Unternehmen, das zu 75,1 Prozent dem Bundesverteidigungsministerium und zu 24,9 Prozent der Deutschen Bahn gehört. Die meisten Fahrer (unter ihnen auch einige Frauen) in den dunkelgrauen Dienstanzügen werden nicht nach Tarif bezahlt; das sorgte in der Vergangenheit schon für Unmut – und einmal sogar für einen Streik. Als Neuerung von der Ampelregierung erhoffen sich die Beschäftigten, daß es nun endlich einen Tarifvertrag für sie gibt. Die SPD stehe da in der Pflicht, zumal sich Bundeskanzler Olaf Scholz im Wahlkampf entsprechend geäußert hatte.  

Bei den Fahrzeugen ist die BW-Fuhrpark-Service recht konservativ. Für die sogenannten „Mandatsfahrten“ des Deutschen Bundestages setzt die Firma „bis zu 120 Fahrzeuge gleichzeitig ein“, eine Änderung sei nicht geplant, teilte sie auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mit. 78 dieser Autos der oberen Mittelklasse sind mit Dieselmotoren ausgestattet, 15 haben einen Hybrid-Antrieb und 27 Fahrzeuge fahren ausschließlich mit Elektro-Motor („einschließlich Brennstoffzellenfahrzeugen“), heißt es weiter. 

Noch ganz neu ist dagegen der fahrbare Untersatz des Kanzlers. Während Vorgängerin Angela Merkel  üblicherweise eine Audi-A8-Langversion nutzte, nimmt Olaf Scholz im Fonds eines Mercedes S 680 Guard Platz. Die Limousine ist dank Panzerung nicht einmal mit 12,5 Kilo Sprengstoff zu knacken und hält sogar dem Beschuß durch Kriegswaffen stand. Dadurch wiegt sie allerdings auch soviel wie ein kleiner Laster, nämlich 4,2 Tonnen. Allein die Frontscheibe bringt es auf 120 Kilo. Um trotzdem flott von Termin zu Termin zu eilen (Blaulicht an Bord), braucht es einen 612 PS starken 12-Zylinder, der dann fast 20 Liter Super-Benzin auf hundert Kilometer schluckt. Aber die Treibhausgasneutralität soll ja auch erst 2045 erreicht werden.