© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/22 / 07. Januar 2022

Ein tiefer Fall
Christian Wulff: Vor zehn Jahren erreichte die Affäre um den damaligen Bundespräsidenten ihren Höhepunkt / Später wird er freigesprochen, doch seine Karriere liegt in Trümmern
Peter Möller

Am 17. Februar 2012 war das unwürdige Schauspiel endlich zu Ende. An der Seite seiner Frau Bettina verkündete Bundespräsident Christian Wulff der kurzfristig in das Schloß Bellevue gerufenen Hauptstadtpresse im Großen Saal seines Amtssitzes seinen Rücktritt. Dem zweiten Amtsverzicht eines Bundespräsidenten innerhalb von nicht einmal zwei Jahren war eine monatelange Affäre um Vorwürfe der Vorteilsnahme vorausgegangen, die drohten, das Amt des Staatsoberhauptes nachhaltig zu beschädigen.

Ausgangspunkt der Affäre, in der die Medien eine entscheidende Rolle spielten, waren im Dezember 2011 Berichte, Wulff habe 2008 als Ministerpräsident von Niedersachsen sein Einfamilienhaus in Großburgwedel bei Hannover mit Hilfe eines Privatkredits in Höhe von 500.000 Euro finanziert, der im von der Frau des befreundeten Unternehmers Egon Geerkens aus Osnabrück gewährt worden sei. So ungewöhnlich dieser Vorgang an sich schon war, brisant wurde der Fall für Wulff, als herauskam, daß er auf eine parlamentarische Anfrage im Niedersächsischen Landtag zu seiner Beziehung zu dem Unternehmer den Kredit verschwiegen hatte.

„Entscheiden, wie wir den Krieg führen“

Endgültig außer Kontrolle geriet die Affäre für Wulff, als der Bundespräsident am 12. Dezember 2011 mit einem Telefonanruf beim damaligen Chefredakteur der Bild-Zeitung, Kai Diekmann, versuchte, Einfluß auf die Berichterstattung des Blatts über die Kreditvergabe zu nehmen. Da Diekmann nicht an sein Handy geht, spricht Wulff, der sich gerade auf einem Staatsbesuch in Kuwait befindet, ihm auf die Mailbox und dokumentiert so seinen Wut-Anruf – eine Vorlage, die sich Diekmann nicht entgehen läßt. In der öffentlich gemachten Mailbox-Nachricht macht Wulff dem Bild-Chef schwere Vorwürfe und spricht davon, daß durch die geplante Berichterstattung der Bild für seine Frau und ihn „der Rubikon“ überschritten sei. „Dann können wir entscheiden, wie wir den Krieg führen“, spricht das Staatsoberhaupt dem Chefredakteur der größten deutschen Zeitung weiter auf die Mailbox.  

Ein Vorgang, der nicht nur unter Journalisten für Entsetzen sorgt. Wollte hier ein Bundespräsident mit Drohungen eine für ihn ungünstige Berichterstattung verhindern? Viele sehen in der Mailboxnachricht einen Angriff des ersten Mannes im Staate auf die Pressefreiheit. Für die Medien gibt es nun kein Halten mehr in der Affäre. Unter anderem werden Vorwürfe laut, Wulff habe sich von Filmproduzent David Groenewold, dem das Land Niedersachsen Bürgschaften gewährt hatte, Reisen und vom Investor Carsten Maschmeyer Urlaube bezahlen lassen. 

In den folgenden Wochen wird jeder noch so kleine Stein umgedreht und jede Ecke von Wulffs Karriere ausgeleuchtet. Das führt zu teilweise bizarren Details: Im Januar 2012 rückt plötzlich ein rotes Rutschauto in das Zentrum der Medien-Berichterstattung über die Wulff-Affäre. Ein Berliner Autohändler hatte das Gefährt im Mai 2011 als Geburtstagsgeschenk für den kleinen Sohn des Bundespräsidenten an die Privatadresse der Wulffs in Großburgwedel bei Hannover geschickt. Daraufhin wurde der Geschäftsführer des Autohauses zum Sommerfest des Bundespräsidenten ins Schloß Bellevue eingeladen. Zudem wurde berichtet, der Autohändler habe dem Ehepaar Wulff Sonderkonditionen bei der Autofinanzierung eingeräumt. Auch wenn der Bundespräsident versuchte, die Vorwürfe über seinen Anwalt zu entkräften, entstand in der Öffentlichkeit der Eindruck, das Staatsoberhaupt habe ein weiteres Mal sein politisches Amt ausgenutzt, um sich privat finanzielle Vorteile zu verschaffen. So skurril die Geschichte mit dem Bobby-Car anmutet, so hilflos wirkten die Verteidigungsversuche. Das Geschenk befinde sich „in der Kinderspielecke im Schloß Bellevue und kann dort von Besuchskindern genutzt werden“, ließ Wulff als Reaktion auf die Berichterstattung über seine Anwälte mitteilen.

Doch alle Versuche, die von immer neuen Medienberichten angefachte Affäre einzudämmen, waren vergeblich:  Am 16. Februar 2012 beantragte die Staatsanwaltschaft Hannover die Aufhebung der Immunität des Staatsoberhauptes. Ein in der Geschichte der Bundesrepublik einmaliger Vorgang. Es bestehe der Anfangsverdacht der Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung gegen den Bundespräsidenten, hieß es zur Begründung von der Behörde. Damit war Wulffs politisches Schicksal besiegelt. In Berlin galt es parteiübergreifend als ausgeschlossen, daß ein Bundespräsident, gegen den ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren läuft, im Amt bleiben kann. Noch bevor der Bundestag über den Antrag der Staatsanwaltschaft entscheiden konnte, zog Wulff die Konsequenzen und trat zurück.

Darüber, daß der Amtsverzicht politisch richtig war, bestehen auch zehn Jahre nach der Affäre kaum Zweifel. Wulff, der nach dem unterwarteten Rücktritt seines Vorgängers Horst Köhler völlig überstürzt vom Amt des niedersächsischen Ministerpräsidenten an die Spitze der Bundesrepublik katapultiert wurde, erwies sich für das repräsentative Amt als ungeeignet. Manche sagen, es war für ihn einfach zu früh.

Doch auch wenn Wulff als Bundespräsident gescheitert ist und mit dem Wut-Anruf beim Bild-Chefredakteur eine rote Linie überschritten hat – strafrechtlich hat er sich nichts zuschulden kommen lassen. Von dem in den Medien erhobenen Verdacht der Korruption blieb nichts übrig. Im November 2013 begann vor dem Landgericht Hannover das juristische Nachspiel der Affäre. Der ehemalige Bundespräsident mußte sich zusammen mit dem Unternehmers David Groenewold wegen des Verdachts der Vorteilsnahme verantworten. Das Verfahren endete nach drei Monaten Verhandlung für beide mit einem Freispruch.

Foto: Bundespräsident Christian Wulff und Ehefrau Bettina nach der Rücktrittserklärung: Vom Korruptionsverdacht bleibt nichts übrig