© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/22 / 07. Januar 2022

Balkan-Union rückt enger zusammen
Binnenmarkt: Serbien, Albanien und Nordmazedonien öffnen ihre Arbeitsmärkte füreinander
Hans-Jürgen Georgi

Die einen nennen es „politisches Marketing“, die anderen „den Beginn einer neuen Ära“ auf dem Balkan. Die Initiative „Open Balkan“ fand kurz vor Weihnachten mit der Unterzeichnung von sechs Verträgen ihre erste manifeste Form. 

Die Geburtsstunde des „Open Balkan“ liegt schon im Jahr 2017. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić schlug damals eine Zollunion unter den sechs Staaten des Westbalkans, Serbien, Albanien, Nordmazedonien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Kosovo, vor. Fünf Monate später, auf dem Westbalkan-Gipfel in Triest, einigten sich diese Staaten darauf, einen gemeinsamen regionalen Wirtschaftsraum (common regional economic area) schaffen zu wollen, denn trotz jahrelanger Zusagen der Europäischen Union, wurde ihre Aufnahme immer unwahrscheinlicher. Noch bevor im November 2019 Frankreich sein „Non“ zur weiteren Balkanintegration aussprach, war den Westbalkanstaaten klar, daß sie in nächster Zukunft keine EU-Mitglieder werden würden. Deshalb verfaßten Serbien, Albanien und Nordmazedonien im Oktober 2019 eine „Deklaration über die Herstellung des freien Flusses von Menschen, Waren, Dienstleistungen und Kapital auf dem Westbalkan“. Mit dieser Absichtsbekundung wollten sie auf der Basis dieser vier EU-Grundprinzipien wirtschaftlich enger zusammenarbeiten und nannten ihre Initiative „Mini-Schengen“. Die anderen drei Länder wandten sich von der Initiative ab, weil sie die wirtschaftliche und politische Dominanz Serbiens fürchteten oder weil die politischen Beziehungen völlig ungeklärt waren, wie im Fall Kosovo.

Von der Europäischen Union mochte dieses „Mini-Schengen“ durchaus als „Trostpflaster“ für die enttäuschten EU-Aspiranten verstanden werden. Und offenbar nahm sie diese Initiative auch nicht allzu ernst. Doch meldeten sich die drei Westbalkanstaaten im Sommer des gerade vergangenen Jahres um so kräftiger zurück. Sie benannten ihre Initiative nun in „Open Balkan“ um, schlossen ein Abkommen über gegenseitige Katastrophenhilfe und verabschiedeten zwei Absichtserklärungen. Letztere bekundeten den Willen zur Zusammenarbeit, einmal zur Erleichterung der Einfuhr, Ausfuhr und des Warenverkehrs, zum anderen sollte eine einheitliche Arbeitserlaubnis den freien Zugang zum Arbeitsmarkt in den Ländern des „Open Balkan“ ermöglicht werden. Diese Absichtserklärung ist inzwischen in ein Abkommen überführt worden, das am 21. Dezember von den Premierministern Albaniens und Nordmazedoniens, Edi Rama und Zoran Zaev, sowie von Serbiens Präsidenten, Vučić, in Tirana unterzeichnet wurde. Zur Realiserung dieses kleinen Binnenmarktes wurden zudem ein Abkommen über ein elektronisches Identifizierungssystem der Bürger und ein Abkommen im Bereich des Veterinär- und Pflanzenschutzes geschlossen. 

Hiermit wurden Tatsachen geschaffen, die offenbar von der Europäischen Union, trotz aller Aufrufe zur regionalen Zusammenarbeit, nicht vorbehaltlos willkommen geheißen werden. Zwar war der Erweiterungskommissar Olivér Varhelyi per Video der Vertragsunterzeichnung zugeschaltet und er sagte hier auch die Unterstützung der EU zu, doch ist auf seiner Internetseite keine einzige Bemerkung zu diesem Ereignis zu finden. Auch hat sich bis dato kein höherrangiges Mitglied aus der EU zu dieser regionalen Zusammenarbeit geäußert. Vielleicht steht dieses beredte Schweigen im Zusammenhang mit der gezeigten Eigenständigkeit der Balkanpolitiker, denn der Erweiterungskommissar hatte sich über diese Initiative „bewundernd“ geäußert, „weil sie von Beginn an eine Initiative des Balkans und nicht der EU war“. Denn auch die EU sieht in ihrem „Berliner Prozeß“ „Anstrengungen zur Verwirklichung eines Gemeinsamen Regionalen Markts (CRM)“ vor. Allerdings hat der „Berliner Prozeß“ in dieser Hinsicht wenig Konkretes erreicht, wurde an Forderungen aber immer umfangreicher. So kamen auf dem Gipfeltreffen in Sofia 2020 Themen wie „die Einführung einer Grünen Agenda für den Westbalkan und die weitere Förderung der Integration der Roma“ hinzu. Offenbar betrachten die Balkanstaaten aber die wirtschaftliche Absicherung ihrer Existenz als vorrangig.

Die kommenden Monate werden zeigen, ob es der Initiative „Open Balkan“ gelingt, tatsächlich einen eigenständigen regionalen Markt zu schaffen, denn es bedarf noch der Ratifizierung der Verträge, und der albanische Premier Rama hat schon eine Volksbefragung zu „Open Balkan“ angekündigt, oder ob, wie viele EU-freundliche Analysten vermuten, die Initiative nur dazu genutzt wird, Druck auf die Europäische Union auszuüben, um wenigstens mit Albanien und Nordmazedonien doch noch Aufnahmegespräche zu beginnen.