© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/22 / 07. Januar 2022

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Wie jetzt bekannt wurde, hat Valérie Pécresse, die von den französischen Republikanern aufgestellte Präsidentschaftskandidatin, im Jahr 2010 gemeinsam mit zahlreichen Vertretern der Linken einen Aufruf „Pour une République multiculturelle et postraciale“ – „Für eine multikulturelle und postrassische Republik“ unterzeichnet, der beklagte, daß die „Eliten“ die Zuwanderer und die von ihnen ausgelöste gesellschaftliche „Dynamik“ nicht hinreichend zu schätzen wüßten.

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„Wir haben die wahre Bedeutung der Wörter verloren. Man hat den Tugenden andere Erklärungen gegeben. Vermessenheit heißt Starkmut und fremdes Gut vergeben Freigebigkeit.“ (Sallust über das Ende der römischen Republik)

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Das Antlitz des Herrn: Kurz vor Weihnachten brachte es Sarah Vecera, ihres Zeichens Bildungsreferentin mit Schwerpunkt „Rassismus und Kirche“ der Vereinten Evangelischen Mission, zu einer gewissen medialen Aufmerksamkeit, weil sie der schwindenden Schar der Gläubigen erklärte, Jesus sei „Person of Color“ gewesen und der christliche Rest der weißen Mehrheitsgesellschaft bleibe aufgefordert, ihn im Krippenbild entsprechend darzustellen, also nicht als hellhäutiges, hellhaariges Baby. Etwas größeren Unmut erregte in den USA eine „Ikone“ wegen der skurrilen Auffassung der Beweinung Christi: die Gottesmutter und der Gottessohn als Schwarze, letzterer mit den Gesichtszügen George Floyds. Von der Öffentlichkeit unbemerkt blieb dagegen der Neudruck eines zuerst 1902 in Frankreich erschienenen Buches des Grafen Gaston-Eugène de Lafont über die Galiläer als Angehörige der arischen Rasse. Eine Theorie, die eher die Blond-Blauäugigkeit des Mannes aus Nazareth wahrscheinlich machte.

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„Es gibt kein Vergangenes, das man zurücksehnen dürfte, es gibt nur ein ewig Neues, das sich aus den erweiterten Elementen des Vergangenen gestaltet, und die echte Sehnsucht muß stets produktiv sein, ein neues Besseres erschaffen.“ (Goethe)

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Der Konservative ist Anti-Apokalyptiker. Ihm bleibt die Mobilmachung für Armageddon suspekt. Zu deutlich sieht er, daß die, die sich anbieten, das letzte Aufgebot zu kommandieren, in der Regel Zukurzgekommene sind, Deklassierte, Hysteriker oder falsche Propheten.

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Auf Nachfrage hat die Bundesanwaltschaft erklärt, daß sie 2021 insgesamt 210 Verfahren gegen islamische Extremisten, zehn gegen Linksextremisten und fünf gegen Rechtsextremisten eingeleitet hat. Im Grunde besteht kein Unterschied zum Vorjahr: 372 Ermittlungsverfahren gegen Islamisten, zehn gegen Rechts- und vier gegen Linksextremisten. Zu bedenken bleibt noch, daß die Islamisten ihrer Herkunft nach ausschließlich dem muslimischen Bevölkerungsanteil – etwa sieben Prozent der Einwohnerschaft – zuzurechnen sind, während Rechts- wie Linksextremisten die Möglichkeit haben, auf das große Ganze der Population auszugreifen. 

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Lindsay Hoyle, Sprecher des britischen Unterhauses, erwägt die Möglichkeit, in den Räumen des Parlaments Drogenhunde einzusetzen, nachdem bei einer stichprobenartigen Überprüfung nicht nur zahlreiche Spuren von Cannabis festgestellt wurden, sondern auch Kokainreste; unter anderem in einer Toilette, die sich in der Nähe jener Räume befindet, die dem Premierminister zur Verfügung gestellt werden.

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Liberale Moderne I: Zum ersten Mal in der Geschichte der USA sind in einem Jahr mehr als 100.000 Menschen an Drogenmißbrauch gestorben. Darunter 75.670 Opioidsüchtige. Zum Vergleich: Während des gesamten Vietnamkriegs zwischen 1961 und 1975 fielen 58.000 GIs.

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Liberale Moderne II: In Deutschland gilt fast ein Viertel der Bevölkerung – etwa 18 Millionen Menschen – als psychisch belastet. Psychische Erkrankungen bilden die Ursache für die zweithöchste Zahl an Krankschreibungen und für die höchste Zahl an Arbeitsunfähigkeitsfeststellungen.

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„Im Herbst wurde … der sechsunddreißigjährige Intensivtäter Nidal R. aus dem Clanmilieu erschossen – auf offener Straße, an einem sonnigen Nachmittag. Seine Kinder mußten den Mord mit ansehen, die Täter sind bis heute nicht identifiziert. Der CDU-Politiker Falko Liecke will das alles nicht länger hinnehmen. Er ist stellvertretender Bezirksbürgermeister in Neukölln und engagiert sich im Kampf gegen Clans wie nur wenige andere Politiker. Als nach dem Mord in Neukölln eine Art Märtyrerbild des Opfers an einer Mauer auftauchte, sprach er von einem ‘Götzenbild’. Es dauerte eine Weile, bis er jemanden fand, der das Graffito überstrich. Mehrere Maler lehnten aus Angst vor den Clans ab. Liecke hat eine klare Antwort auf die Frage, wie es so weit kommen konnte: ‘Die Politik hat das Thema dreißig Jahre lang verschlafen’“ (Bericht der Neuen Zürcher Zeitung, Online-Ausgabe vom 12. Dezember 2021). Der Hinweis auf den Zeitrahmen ist interessant, bedenkt man, daß die Partei Lieckes von den dreißig Jahren fast vierundzwanzig in der Regierungsverantwortung war.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 21. Januar in der JF-Ausgabe 4/22.