© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/22 / 07. Januar 2022

Der letzte Tanz im alten Europa
Überkommene Dynastien und moderne Zeiten: Eine Ausstellung in Regensburg zeigt den Niedergang der Monarchie in Bayern
Felix Dirsch

Mit der Ausstellung „Götterdämmerung – König Ludwig II.“ fand vor zehn Jahren, 2011, ein ungewöhnlich gut besuchtes Kulturereignis statt. Ein Jahrzehnt später, anläßlich des 100. Todestages des letzten Wittelsbacher-Monarchen Ludwig III., lag es nahe, die Nachfolger des legendären Märchenkönigs einem größeren Publikum nahezubringen. Die Präsentation sollte wieder im Schloß Herrenchiemsee zu sehen sein. Die Vorbereitungen verdeutlichten aber schnell, daß ein derartiger Plan angesichts der Corona-Bestimmungen nicht zu realisieren war.

Immerhin erwies sich das 2019 neu eröffnete Museum des Hauses der Bayerischen Geschichte in Regensburg als geeigneter Ausweichort. Am Anfang der Schau steht der Besucher vor einer großen Fotografie des aufgebahrten Leichnams König Ludwigs II. Mit seinem Lebensende setzte, so wird im Rückblick deutlich, der Niedergang der Monarchie ein. Bereits seine Entmündigung und Absetzung gelten bis heute als historische Zäsur. Die frühe Mythisierung des mit 40 Jahren Verstorbenen, vor allem wegen der in seiner Regierungszeit geschaffenen berühmten Bauwerke, aber auch wegen seines rätselhaften Todes, änderte daran nichts. Das bayerische Herrscherhaus nahm auch deswegen Schaden, weil Ludwigs Bruder, Otto I., nicht regierungsfähig war. Gleichwohl behielt er den Königstitel bis zu seinem Tod 1916. Seine Stelle nahm sein Onkel, Prinzregent Luitpold, bis zu seinem Ableben 1912 ein. Viele erinnerten sich an dessen Regiment leicht melancholisch. Schon zu seinen Lebzeiten ging das Wort von der „guten Zeit“ um, die bald zur „guten alten Zeit“ verklärt wurde. Die Geschichtsschreibung blickte öfter positiv auf den volkstümlichen Statthalter, dessen Herrschaftsstil nur wenigen Kritikern anachronistisch erschienen war. Das Ende kam schnell: Die Revolution von 1918 machte die Abdankung Ludwigs III. unvermeidlich. Jahrhundertealte politische Routine änderte sich quasi über Nacht.

Die Folgen des Einschnittes sind für die Nachgeborenen kaum zu ermessen. Keine Zäsur in der Geschichte der Wittelsbacher, die Bayern seit 1180 regierten, war folgenreicher. Besonders nachdenklich müssen denjenigen, der die weitere Geschichte kennt, die Worte des Kardinals Michael von Faulhaber anläßlich der Beisetzung „Seiner Majestät“ und seiner zwei Jahre zuvor verstorbenen Gattin 1921 machen. Der Münchner Oberhirte beschwor in seiner Predigt die Gefahren einer seit der Antike bekannten Pöbelherrschaft, die mit zwielichtigen Gestalten ohne Bezug zur bayerischen Tradition und Kultur begonnen habe und eineinhalb Jahrzehnte später, im Jahre 1933, in die (von einer Mehrheit gewählte) Führerdiktatur überging: „Könige von Volkes Gnaden sind keine Gnade für das Volk, und wo das Volk sein eigener König ist, wird es über kurz oder lang auch sein eigener Totengräber.“

Kardinal Faulhaber warnte vor einer Pöbelherrschaft

Ein besonderer Reiz der aktuellen Landesausstellung liegt darin, daß über die letzten Könige, ihre Familien und dynastischen Nebenlinien hinaus die Verbindungen zu vielen anderen Herrscherhäusern in und außerhalb von Europa hergestellt werden. Der bayerische Hochadel war vielfach verwandt und verschwägert. Deutlich wird weiterhin, daß diese zahllosen Formen familiärer Vernetzungen die Katastrophe des Ersten Weltkrieges nicht verhindern konnten. Gerade die engen Kontakte des letzten Monarchen hätten das Unglück von 1914 wie den Untergang des Königshauses vielleicht noch aufhalten können. Ludwig III. zeigte sich jedoch dazu nicht in der Lage. Ebensowenig wie Wilhelm II., der seine Nähe zum englischen Herrscherhaus nicht zum Erhalt des Friedens nutzen konnte oder wollte.

Auch Volkstümliches kommt nicht zu kurz. Das Medium Film machte in den 1950er Jahren die bayerische Herzogstochter Elisabeth („Sissi“) unsterblich, die eine eher unglückliche Ehe mit Franz Joseph I., Kaiser von Österreich und König von Ungarn, führte. Der Besucher erfährt weiter Wissenswertes über ihre Geschwister: Helene heiratete in die fürstliche Familie von Thurn und Taxis ein. Ihr Mann verstarb früh. Bruder Carl Theodor widmete sich der Augenheilkunst. Eine andere Schwester, Marie, brachte ein uneheliches Kind zur Welt. Stoff für die damalige Boulevardpresse also.

Auch von einer preußischen „Sissy“, die weit weniger bekannt ist als ihr österreichisches Pendant, erfährt der Besucher. Die Tochter Wilhelms II., Viktoria Luise, heiratete 1913 den Welfenprinzen Ernst August. Die politische Dimension der Eheschließung war offenkundig. Im selben Jahr trafen sich die erlauchten Häupter anläßlich des 50. Jahrestages der Einweihung der Befreiungshalle in Kelheim. Die rauschende Feier mit ausgelassenen Tänzen kann man als eines der letzten Fürstenfeste im alten Europa betrachten. Das allgegenwärtige pessimistische Zukunftsszenario hatte wohl nur wenige gestört.

Es wäre zu kurz gegriffen, den Niedergang der überlieferten Ordnung seit dem Tod Ludwigs II. ausschließlich als Folge der Schwäche politischer Oberhäupter zu begreifen. Der Wandel in Wissenschaft, Technik, Kunst und zahllosen anderen Daseinsbereichen gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mußte früher oder später auf Staat und Gesellschaft übergreifen. Ein „Weiter so“ konnte es wohl nur für einen begrenzten Zeitraum geben. Denker der Epoche von Marx über Nietzsche bis zu Wagner und Freud fungierten als Seismographen eines sehr dialektischen Wandels. Deren Büsten erhalten in der Ausstellung eine bevorzugte Stellung.

Ein Beispiel für Tendenzen des gesellschaftlichen Aufbruchs ist das zu seiner Zeit heftig umstrittene Atelier Elvira in München. Frauenrechtlerinnen wie Anita Augspurg und Sophia Goudstikker tarnten ihre emanzipatorischen Absichten im Rahmen offizieller fotografischer Aktivitäten. Der 1. Bayerische Frauentag 1899 ging maßgeblich auf deren Vorarbeiten zurück. Doch nicht nur seinerzeit als skurril betrachtete „Weibsbilder“ bemühten sich um ein Leben, das gesellschaftliche Konventionen möglichst hinter sich läßt. Die einzige Tochter des Prinzregenten, Prinzessin Therese von Bayern, blieb unverheiratet und pflegte naturwissenschaftliche Forschungen. Herkömmlich-standesgebundene und moderne Lebensläufe sind in ein und derselben Familie zu beobachten. 

Die Fülle an sehenswerten Exponaten, an Tondokumenten von Zeitzeugen über Bilder jeder Art bis zu einer Vielzahl von Dokumenten, ist bemerkenswert. Gelegentlich wird darauf hingewiesen, daß die Erben des letzten Wittelsbacher-Monarchen offiziell nicht auf den Thron verzichtet haben. Dazu zählen Kronprinz Rupprecht wie auch sein Sohn Albrecht. Beide waren jedoch nicht so vermessen, aktiv die Restitution der alten Herrschaft zu betreiben. Sie wußten wohl um die Vergeblichkeit solcher Bemühungen. Aber sie standen bereit. Pflichtbewußtsein ist eine Tugend, die auch in republikanischen Zeiten einen hohen Stellenwert besitzt.

Die Ausstellung „Götterdämmerung II – Die letzten Monarchen“ im Haus der Bayerischen Geschichte in Regensburg, Donaumarkt 1, ist noch bis zum 16. Januar täglich außer montags von 9 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 0821 / 32 95-0

Das Katalogbuch (Verlag Friedrich Pustet) mit 216 Seiten, etwa 180 Abbildungen und begleitenden Aufsätzen kostet im Museum 24 Euro.

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