© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/22 / 07. Januar 2022

Eine nachhaltige Klimapolitik für Deutschland – 10 Thesen zu einem dringenden Neuaufbruch
Es muß sich rechnen
Fritz Söllner

Der Schutz des Klimas wird – nach dem Überwinden der Corona-Krise – als große globale Herausforderung wieder stärker in den Fokus rücken. Die folgenden zehn Thesen sollen in aller Kürze verdeutlichen, wie eine Klimapolitik aussehen muß, die sowohl ökologisch effektiv als auch ökonomisch effizient ist.

1. Der Klimawandel ist ein globaler externer Effekt; der weltweit alle Länder betrifft, viele, aber nicht alle davon negativ. Gegenstand der Klimapolitik ist ein globales, nicht-ausschließbares Gemeinschaftsgut; das bedeutet, daß von einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen zwar die meisten Länder profitieren würden, aber keines freiwillig zur Vermeidung beitragen möchte (Trittbrettfahrer-Problem). Denn jedes Land hat nur geringe Möglichkeiten und deshalb auch nur einen geringen Anreiz, durch nationale Maßnahmen zum Klimaschutz beizutragen. Für die Klimapolitik ist es konstitutiv, daß globale Problemnatur und nationale Problemlösungskompetenz auseinanderfallen. Da es keine „Weltregierung“ gibt, ist internationale Kooperation der rund 200 souveränen Staaten in der Klimafrage essentiell. Keine nationale Klimaschutzstrategie eines emissionskleinen Landes (wie Deutschland mit rund zwei Prozent Anteil an den weltweiten Treibhausgasemissionen) kann die weltweiten Emissionen im Alleingang senken und das Weltklima retten. Hieran scheitert von vornherein grundsätzlich jede national ausgerichtete Klimastrategie und entlarvt sich als Schaufensterpolitik und Augenwischerei.

2. Eine wirksame deutsche Klimapolitik muß daher zuallererst eine Klimaaußenpolitik sein, die auf internationale Verhandlungen und gemeinsame Anstrengungen aller Länder setzt. Ziel muß es sein, eine weltweit einheitliche CO2-Bepreisung als zentrales Lenkungsinstrument für die Klimapolitik einzuführen. Daß Deutschland dies bisher nur in geringem Maße betrieben hat, liegt sicher auch daran, daß sich Deutschland mit seiner nationalen Energiepolitik (Kernenergieausstieg) selbst ins diplomatische Abseits befördert hat. Denn während (fast) alle anderen Länder dieser Welt beim Ausstieg aus den fossilen Energien auch auf die Anwendung und Weiterentwicklung der Kernenergie setzen (können), hat sich Deutschland diesen Weg freiwillig selbst verbaut und international Vertrauen verloren und damit Verhandlungskapital verspielt.

3. Deutschland setzt statt dessen auf eine national ausgerichtete, sektorspezifische Energiestrategie (EEG), in der nur ausgewählte Energieerzeugungsarten zugelassen sind und – im besten Fall – sogar nationale Energieautarkie, das heißt 100 Prozent erneuerbare Energien im Inland, angestrebt wird. Dies hat zu immensen gesellschaftlichen Kosten geführt (finanzielle Lasten, gesellschaftliche Akzeptanz), ohne daß wir damit einen nennenswerten Beitrag zur Verminderung der Treibhausgasemissionen geleistet hätten. Dies überrascht eigentlich niemanden, da eine nationalstaatliche Energiepolitik im Rahmen des übergeordneten europaweiten Emissionshandelssystems schlichtweg überflüssig ist. Ein forcierter weiterer Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland wird immer weniger gesellschaftlich akzeptiert werden – angesichts der systembedingten Unzulänglichkeiten wie zum Beispiel der mangelnden Versorgungssicherheit und den unübersehbaren grundlegenden Konstruktionsmängeln des EEG. Wir sehen deutlich, daß uns ein „Weiter-so-mit-dem-Falschen“ nicht hilft. Deutschland sollte diesen „klimapolitischen Irrweg“ (so Wolfgang Reitzle, der Vorstandsvorsitzende von Linde) daher schnellstmöglich beenden und sich nicht künstlich als „Moralweltmeister“ inszenieren.

4. Wir brauchen – in weit höherem Maße als bisher – eine stärkere Förderung von Forschung und Innovation und eine grundlegende Technologieoffenheit, um neue Klimaschutztechnologien für die Industrie marktfähig zu machen und neue klimafreundliche Energieerzeugungstechnologien zu entwickeln, die dann weltweite Verbreitung und Anwendung finden sollten. Hier könnte Deutschland seinen hohen moralischen Anspruch umsetzen, klimapolitisches Vorbild für die Welt sein zu wollen.

Die Corona-Krise hat zu einem wirtschaftlichen Einbruch in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren geführt. Spätestens dieser wirtschaftliche Rückgang zeigt deutlich, daß eine Verzichtskultur oder Suffizienzvorstellungen weder in und für Deutschland gesellschaftlich erwünscht sind, noch als Vorbild für die anderen Länder der Welt taugen, die unseren Wohlstand ja erst noch erreichen möchten. Eine dauerhafte CO2-Einsparung erreichen wir aber nicht durch Wirtschaftskrisen und gesellschaftlichen Verzicht, sondern nur durch massive Investitionen in CO2-neutrale Technologien.

5. Die Klimapolitik ist ein Teilbereich der staatlichen Politik und sollte hohe Priorität genießen. Es sollte aber keine Verabsolutierung der Klimapolitik geben, wie etwa ein klimapolitisches Veto im Bundeskanzleramt für alle Gesetzesvorhaben. Eine solche Verabsolutierung läßt außer acht, daß die Vereinten Nationen aus gutem Grund im Jahr 2015 siebzehn Millenniums-Entwicklungsziele verabschiedet haben, die die menschlichen Bedürfnisse umfassend widerspiegeln und gemeinsam erreicht werden sollten. Dieser Gedanke pluraler Entwicklungsziele kommt schon in der grundlegenden Definition der Nachhaltigkeit zum Ausdruck, die bekanntlich die drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales umfaßt, welche stets miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Eine Klimapolitik, die einen ökonomischen und sozialen Ausgleich mißachtet, kann nur schwerlich als nachhaltig bezeichnet werden.

6. Da der weitaus größte Anteil der Treibhausgasemissionen energiebedingt ist, kann man das Klimaproblem im Grunde als ein Problem der effizienten Bereitstellung von klimaneutraler Energie auffassen. Dieses gilt es nach dem ökonomischen Prinzip wie folgt zu optimieren:

1. Wir müssen möglichst viel CO2-Emissionen einsparen. 2. Jede Einsparung verursacht Kosten. 3. Wir haben nur begrenzte Mittel zur Verfügung. Daher muß gute Klimapolitik zwangsläufig eine kosteneffiziente Klimapolitik sein, das heißt, es muß eine maximale CO2-Einsparung pro Kosteneinheit angestrebt werden. Angesichts der Größe der klimapolitischen Herausforderung und der auch damit verbundenen Verteilungswirkungen leuchtet es unmittelbar ein, daß die Kosteneffizienz das zentrale Kriterium der Klimapolitik sein muß. Eine kosteneffiziente Klimapolitik kann nur durch einen Ausgleich der Grenzvermeidungskosten in allen Bereichen und allen Sektoren und in allen Wirtschaftsräumen erreicht werden.

Dies ist nur in einem marktwirtschaftlichen Umfeld durch den „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ zu gewährleisten und nicht etwa durch klimadirigistische Staatsinterventionen politisch vorzugeben. Nur durch die bewußte Indienstnahme der Marktwirtschaft und des Systems der relativen Preise und nicht etwa durch weitere Einschränkung und womöglich Abschaffung der sozialen Marktwirtschaft – was sich so manche Klimaaktivisten insgeheim wünschen – wird das Ziel der Klimaneutralität effektiv und effizient erreicht werden können.

7. In unserer sozialen Marktwirtschaft setzen wir seit Ludwig Erhard im Jahr 1948 auf marktliche Anreize, auf Privateigentum und Freiheit und Verantwortung und eben nicht auf staatlichen Dirigismus und Verbote. Mit dieser Wirtschaftsordnung haben wir wirtschaftliche und technologische Leistungsfähigkeit erreicht und unseren gesellschaftlichen Wohlstand geschaffen. Dies sollte in der Klimapolitik ebenso gelten. Wir brauchen keine Klima-Planwirtschaft und keine Verbotskultur, sondern statt dessen eine „marktwirtschaftliche Ermöglichungskultur“, die ökologische Zielsetzungen mit ökonomischen Mitteln bestmöglich erreicht.

8. Für die EEG-Förderung werden laut Bundesrechnungshof rund 34 Milliarden Euro pro Jahr aufgewandt, die gesamte EEG-Förderung von 2000 bis 2025 wird auf rund 300 Milliarden Euro beziffert. Und in den vergangenen Jahren wurden zusätzlich noch zahlreiche Förderprogramme in Höhe von zweistelligen Milliardenbeträgen aufgelegt. Das Fördervolumen erreicht mittlerweile finanzielle Dimensionen, die so nicht mehr länger aufrechterhalten werden können. Wir können die „Klimaneutralität aber nicht herbeifördern“ (so die Ökonomin Veronika Grimm), sondern müssen die Rahmenbedingungen so vernünftig und nachhaltig setzen, daß die privaten Investitionen – die die staatlichen Investitionen bekanntlich um das rund Achtfache übersteigen – in die richtige Richtung gehen und sich letztlich selbst rechnen.

9. Die Einführung einer CO2-Bepreisung überläßt den Marktakteuren ihren wirtschaftlichen Handlungsspielraum und erzielt Einnahmen, die ganz gezielt für die soziale Abfederung klimapolitischer Maßnahmen verwendet werden können. Demgegenüber generieren ordnungsrechtliche Maßnahmen – zum Beispiel Verbote von Inlandsflügen oder des Verbrennungsmotors, Tempolimit, Atom- und Kohleausstieg – keine Einnahmen und suggerieren der breiten Öffentlichkeit vielmehr, daß sie für die Bevölkerung kostenlos seien. Sie werden in politischer Diskussion daher selten bis gar nicht angesprochen und meist: „das kostet nichts“ oder als „low hanging fruits“ bezeichnet. Ordnungsrecht erzwingt allerdings die Vermeidung auch bei hohen Vermeidungskosten und ist für eine kosteneffiziente Vermeidungspolitik schon im Grundsatz ungeeignet.

10. Es ist endlich an der Zeit, die Klimadiskussion in der Gesellschaft ehrlich zu führen, realistische Ziele zu formulieren, die Kosten und Belastungen zu thematisieren und vernünftige effektive und effiziente Instrumente für die Zielerreichung auszuwählen. Wir sollten endlich aufhören, uns mit moralischen und ideologischen Motiven weiterhin um eine aufrichtige und notwendige Diskussion zu drücken. Dazu brauchen wir dringend eine neue Diskursehrlichkeit und einen Neuaufbruch in eine nachhaltige Klimapolitik.

Die Zeichen für einen solchen Neuaufbruch stehen allerdings schlecht. Im Koalitionsvertrag der die neue Bundesregierung tragenden Parteien finden sich viele wohlklingende Absichtserklärungen, aber nur wenig Konkretes. Vom CO2-Preis, den Vorteilen von Märkten und der Notwendigkeit einer kosteneffizienten Klimapolitik ist da zwar die Rede. Aber gleichzeitig will man am ineffizienten EEG festhalten, die sektorale und nationale beziehungsweise regionale Politik im wesentlichen beibehalten und in die CO2-Zertifiktatsmärkte nach Gutdünken eingreifen. Eine grundlegende Reform sieht anders aus.






Prof. Dr. Fritz Söllner, Jahrgang 1963, ist Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre an der TU Ilmenau. Zuvor lehrte er an der Universität Bayreuth und war John F. Kennedy-Fellow in Harvard.

Foto: Photovoltaik- und Windkraftanlagen bei Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt: Ein forcierter weiterer Ausbau der „erneuerbaren Energien“ wird immer weniger gesellschaftlich akzeptiert werden