© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/22 / 07. Januar 2022

Der Altbau als Klimakiller
Die EU-Kommission plant die baldige Einführung eines umfassenden Dämm- und Sanierungszwangs
Stefan Kofner

Die Klimarettungspolitik läßt niemanden ungeschoren. Und in ihrer panischen Besinnungslosigkeit bleibt kaum Zeit zum Atemholen. Effizienz spielt bei der Verfolgung von Klimazielen mit wirtschaftspolitischen Mitteln längst keine Rolle mehr. Wer sich klimaschädlich verhält, wird mit Anreizen, aber auch bereits seit Jahren mit harten Geboten und Verboten zu Investitionen und Verhaltensänderungen „bewogen“ oder eben schlicht gezwungen.

Die Politik nimmt sich auch nicht mehr die Zeit, die mittel- bis langfristigen Auswirkungen der bereits getroffenen Maßnahmen in Ruhe zu beobachten, sondern sie erhöht beinahe zwanghaft den Veränderungsdruck durch immer neue Maßnahmen. In letzter Zeit betrifft das besonders den Altbau, der mehr und mehr in den Fokus der Klimapolitik gerät. Den vorläufigen Höhepunkt bildet der Plan der EU-Kommission zur Einführung eines Sanierungszwangs. Das Problem: Altbauten sind gemessen an energetisch optimierten Neubauten einfach nicht energieeffizient genug, und das kann natürlich nicht so bleiben.

Strauß an Zuschüssen, Darlehen und steuerlichen Förderungen

Der Befund als solcher ist nicht falsch. Nach einer neuen Untersuchung des Immobilieninstitutes F+B fallen rund 22 Prozent des Wohnungsbestandes in die Energieeffizienzklassen F bis H, das heißt die jährlichen Energiekosten pro Quadratmeter Wohnfläche liegen über zehn Euro. Bei den Ein- und Zweifamilienhäusern sind es sogar 40 Prozent. Außerdem hängt die Energieeffizienz ganz erheblich von der Baualtersklasse ab. Und schließlich vollzieht sich der Fortschritt bei der energetischen Sanierung des Althausbestandes bislang nur in sehr kleinen Schritten.

Trotz des seit Jahren aufgebauten Sanierungsdrucks ist die Bilanz also bescheiden geblieben. Allein schon mit dem programmierten weiteren dynamischen Wachstum der Brennstoffpreise aufgrund der zukünftig progressiv steigenden Festpreise für die CO2-Zertifikate wurde ein erheblicher Sanierungsdruck aufgebaut. Hinzu kommen Zwangsmaßnahmen wie die im Gebäudeenergiegesetz enthaltenen extrem hohen und kostentreibenden energetischen Anforderungen bei Neubauten und Modernisierungen sowie der Austauschpflicht für alte Öl- und Gasheizungen.

In die Kategorie Zuckerbrot fällt die Umlagemöglichkeit der Kosten energetischer Modernisierungen mit acht Prozent im Jahr auf die Mieter, wobei die Umlage allerdings 2019 gekürzt und mit von der Miethöhe abhängigen Kappungen versehen wurde. Damit nicht genug, steht ein bunter Strauß an Zuschüssen, Darlehen und steuerlichen Förderungen zur Verfügung. Mit der von der Ampelkoalition geplanten Teilwarmmiete würden weitere Anreize für die energetische Sanierung von Mietwohnungen gesetzt, denn der Vermieter könnte einen Teil der durch Investitionen eingesparten Heizkosten für sich behalten. Alles in allem ist das eine fatale Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche, der man sich kaum entziehen kann.

Doch haben die Komplexität und Intransparenz des Systems mittlerweile ein abschreckendes Niveau erreicht, das ohne den Einsatz von Energie- und Steuerberatern kaum noch zu bewältigen ist. Aber es reicht immer noch nicht. Die EU-Kommission schwingt jetzt die ganz große Dirigismuskeule in Form verpflichtender Mindeststandards für die Energiebilanz von Gebäuden: Ursula von der Leyens „European Green Deal“ in der Praxis (JF 4/21). Bis Anfang 2027 sollen Altbauten, wenn sie den Eigentümer wechseln oder neu vermietet werden, mindestens die Effizienzklasse E erreichen. Das betrifft 40 Prozent der Ein- und Zweifamilienhäuser, und es sind nur noch fünf Jahre bis dahin. Bis 2030 sollen die Anforderungen auf die Klasse D und 2033 dann auf C steigen (das beträfe dann mehr als 75 Prozent), wobei die Feinkalibrierung noch offen ist. Falls ein Gebäude beim Verkauf nicht die eigentlich vorgeschriebene Energieeffizienzklasse erreicht, hat der Käufer immerhin drei Jahre Zeit, um das nachzuholen.

Einstieg in die staatliche Investitionslenkung und -planung

Für die Sanierung von Mehrfamilienhäusern sind die Kommissionspläne noch einschneidender. Auch dann, wenn sie nicht verkauft werden, müssen sie bis 2030 die Klasse E erreichen, bis 2035 Klasse D und bis 2040 Klasse C. Was das praktisch bewirken würde, mag man sich nicht ausmalen. Zunächst einmal würde es zu einem massiven Verfall der erzielbaren Verkaufspreise bei energetisch unsanierten Eigenheimen kommen – und dies in Abhängigkeit vom nötigen Sanierungsaufwand.

Gegliederte Fassaden, Gauben und Erker stören da natürlich sehr. Ob Ein- oder Mehrfamilienhaus, im Zweifel wird man die betreffenden Häuser einfach abreißen oder die komplexen Fassaden planieren. Hier droht ein weiterer Verlust an Baukultur und städtebaulicher Qualität. Dämmung der Fassaden bedeutet Verarmung der Gestaltung, den Untergang architektonischer Vielfalt.

Davon abgesehen sind die Kapazitäten der Bauwirtschaft schon jetzt auf das Äußerste angespannt. Es herrscht ein enormer Handwerker-Mangel verbunden mit einer nie gesehenen „Bauflation“. Der Flaschenhals ist hier nicht zuletzt das qualifizierte Personal, und da greifen nur langfristige Maßnahmen. Und natürlich fragt niemand nach der subjektiven wirtschaftlichen Zumutbarkeit solcher Zwangsinvestitionen für die Hauseigentümer. Oder danach, ob sich ältere Vermieter an ihrem Lebensabend noch eine komplexe Gebäudesanierung aufhalsen wollen und können.

Das Regulierungs- und Fördersystem muß nicht durch Zwangsmaßnahmen aus der wirtschaftspolitischen Folterkammer ergänzt, sondern vielmehr grundlegend vereinfacht und auf das Wesentliche reduziert werden. Die EU-Kommissionspläne sind ein schönes Beispiel dafür, wohin die Verabsolutierung eines politischen Ziels auf der Maßnahmen-Ebene führen kann. Offenbar soll der wirtschaftspolitische Lehrsatz des früheren SPD-Bundesminister Karl Schiller (1911–1994), nach dem man die Pferde zwar zur Tränke führen könne, sie aber selbst saufen müßten, widerlegt werden. Das wäre der Einstieg in eine neue, nun „grüne“ Wirtschaftsordnung mit staatlicher Investitionslenkung und -planung, die weit über den öffentlichen Sektor hinausgreift. Wenn man diese „roten Linien“ einmal überschritten hat, ist das der Anfang vom Ende der Marktwirtschaft.






Prof. Dr. Stefan Kofner lehrt Immobilien- und Bauwirtschaft an der Hochschule Zittau/Görlitz.

Foto: Umbau eines alten Mietshauses in Düsseldorf: Teure Verabsolutierung eines politischen Ziels auf der europäischen Maßnahmenebene