© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/22 / 14. Januar 2022

Corona-Spaziergänge und Demonstrationen
Vorgeschobene Anordnungen
Ulrich Vosgerau

Das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, gilt seit jeher als Zeichen der Freiheit und Mündigkeit des Bürgers. Es gewährleistet vor allem andersdenkenden Minderheiten das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung und verbietet staatlichen Zwang, einer bestimmten Demonstration fernzubleiben. Auch bei einer möglichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ist ein Versammlungsverbot nur Ultima ratio; in aller Regel kann Sicherheitsrisiken durch Versammlungsauflagen begegnet werden. 

Verfassungsrechtlich zweifelhaft ist dabei die erstmals 2007 (aus Anlaß des G8-Gipfels in Heiligendamm) erfundene Beschränkung der Teilnehmerzahl. Durch sie wird der wesentliche Zweck einer politischen Demonstration, nämlich zu zeigen, wie zahlreich die Opposition ist, vereitelt. Versammlungen unter freiem Himmel müssen jedoch angemeldet werden, nur bei echten Spontanversammlungen ist dies nicht der Fall. 

Die Corona-Spaziergänger halten sich nicht daran, weil sie ein Verbot oder unverhältnismäßige Auflagen fürchten. Da im Freien fast kein Ansteckungsrisiko besteht, wirken entsprechende Anordnungen nicht selten wie vorgeschoben (was im Rundfunk auch klar so konstatiert wird – wenn es um Demonstrationen in anderen Ländern geht). Rechtlich feststellen lassen kann man dies allerdings nur, wenn man ordnungsgemäß anmeldet und gegen Auflagen oder das Verbot klagt.