© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/22 / 14. Januar 2022

Knall auf Fall
Corona: Bund und Länder haben weitere Verschärfungen beschlossen / Erneut Proteste
Peter Möller

Am vergangenen Sonntag machte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach das Dilemma der deutschen Corona-Politik deutlich. In der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ sagte der SPD-Politiker mit Blick auf das Infektionsgeschehen: „Ich glaube, die Fallzahlen werden ansteigen. Daher werden weitere Maßnahmen noch notwendig werden, zu gegebener Zeit.“ Zu diesem Zeitpunkt war die Einigung von Bund und Ländern auf schärfere Maßnahmen im Kampf gegen die Omikron-Variante gerade einmal zwei Tage alt. Zwar bezeichnete Lauterbach die Ergebnisse des Corona-Gipfels als einen „ganz wichtigen Schritt nach vorne“, doch blieb wieder einmal der Eindruck zurück, daß die Corona-Politik in Deutschland nie wirklich paßgenau auf die jeweilige Situation reagiert, sondern der Entwicklung immer hinterherhinkt – oder aber über das Ziel hinausschießt.

Und schon am Freitag vergangener Woche, als Bundeskanzler Olaf Scholz zusammen mit dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen Hendrik Wüst (CDU) und Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) nach den Beratungen der Regierungschefs von Bund und Ländern vor die Mikrofone trat, entstand der Eindruck, daß es der Politik einfach nicht gelingen will, eine einheitliche und vor allem auch zielgenaue Corona-Politik auf den Weg zu bringen, die geeignet ist, der zunehmend vorherrschenden Verunsicherung in der Bevölkerung zumindest etwas entgegenzuwirken.

Dafür verantwortlich war eine sogenannte Protokollerklärung am Ende des Papiers, in dem die Beschlüsse von Bund und Ländern zusammengefaßt wurden. Darin kündigen zwei Landesregierungen die gemeinsam erreichte Einigung in einem zentralen Punkt quasi wieder auf. „Der heutige Beschluß bleibt in weiten Teilen hinter der bereits geltenden Rechtslage in Bayern und einigen anderen Ländern zurück. Weitere Verschärfungen freiheitseinschränkender Maßnahmen, wie eine inzidenzunabhängige 2G-Plus-Regel in der gesamten Gastronomie, müssen erst auf Basis einer möglichst gesicherten wissenschaftlichen Expertise sorgfältig geprüft werden“, heißt es in der von Bayern und Sachsen-Anhalt mitgetragenen Protokollerklärung.

Die flächendeckende Einführung der 2G-Plus-Regelung in der Gastronomie unabhängig von der 7-Tages-Inzidenz ist ein zentrales Ergebnis des neuerlichen Corona-Gipfels. Geimpfte und Genesene müssen nun zusätzlich einen tagesaktuellen negativen Corona-Test vorweisen. Davon ausgenommen sind Personen, die „geboostert“ sind. Begründet wird die Verschärfung für die Gastronomie mit dem Umstand, daß beim Essen und Trinken keine Masken getragen werden und dadurch die Infektionsgefahr größer sei. In Niedersachsen wiederum können Gastwirte auf zusätzliche Tests verzichten, wenn sie ihre Räumlichkeiten nur zu 70 Prozent auslasten. Dann gilt in diesen Einrichtungen 2G statt 2Gplus.

Neue Regeln gelten für die Quarantäne und die Isolierung. Künftig müssen Infizierte und Kontaktpersonen jeweils für zehn Tage in Quarantäne beziehungsweise in die Isolierung. Bislang galt bei einer Ansteckung mit der Omikron-Variante des Coronavirus eine Dauer von 14 Tagen. Die Dauer von Isolation oder Quarantäne kann auf sieben Tage verkürzt werden, wenn ein PCR- oder hochwertiger Antigentest ein negatives Ergebnis belegen. Von der Quarantäne befreit sind künftig Personen mit einer Auffrischungsimpfung, die Kontakt zu einem mit Corona Infizierten hatten. Das gleiche gilt für frisch Geimpfte oder Genesene, wenn Impfung oder Infektion nicht länger als drei Monate zurückliegen.

Kein Fraktionszwang bei Entscheidung über Impfpflicht

Für Kinder gilt, daß sie die Quarantäne schon nach fünf Tagen mit einem negativen Test beenden können. Auch wenn für Berufstätige in der kritischen Infrastruktur keine eigenen Regelungen festgehalten wurden, zielen die Verkürzungen bei der Quarantäne und der Isolation darauf ab, den Krankenstand bei hohen Infektionszahlen in der Bevölkerung so weit wie möglich zu verkürzen. 

Ausdrücklich werben der Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten in dem Abschlußdokument dafür, die Impfkampagne „mit Hochdruck“ fortzusetzen. Allen Bürgern, die eine Erst- und Zweitimpfung erhalten haben, solle zeitnah eine Booster-Impfung ermöglicht werden. Diese zusätzliche Impfung vermittele den besten Immunschutz gegen die Omikron-Variante. Zudem bekräftigte die Runde der Regierungschefs „angesichts der Notwendigkeit, eine hohe Impfquote zu erreichen“, ihre Forderung nach einer allgemeinen Impfpflicht.

Um die gibt es jedoch weiter Gezerre. Ob – und wenn ja, wann – sie wirklich kommt, ist nach wie vor völlig offen. Obwohl alle 16 Ministerpräsidenten das Vorhaben unterstützen und laut einer Insa-Umfrage auch 61 Prozent der Deutschen eine allgemeine Impfpflicht befürworten, wachsen hinter den Kulissen Zweifel, daß das Ganze in einem schnellen Verfahren durchzuziehen ist. Am 24. Januar soll zunächst eine informelle „Orientierungsdebatte“ im Bundestag erfolgen, die erste Lesung der Gesetzentwürfe ist für den 14. Februar angesetzt.

Bundeskanzler Scholz hat die Terminfrage in die Hände des Bundestags gelegt. Die oppositionelle Union fordert, die Ampel müsse jetzt einen Gesetzentwurf vorlegen. „Wir werden nicht die Arbeit der Regierung übernehmen“, so ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Thorsten Frei. Zuvor hatte – offenbar unabgestimmt – der CSU-Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger einen eigenen Gesetzentwurf der Union für eine Impfpflicht für über 50jährige ins Gespräch gebracht. Dagegen liegt ein Entwurf mehrerer FDP-Abgeordneter um Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki vor, die eine allgemeine Impfpflicht ablehnen. Möglich wären auch interfraktionelle Gruppenanträge. Die Fraktionsdisziplin soll ausgesetzt, die Frage der Impfpflicht zur Gewissensentscheidung werden.

Unterdessen haben am vergangenen Wochenende wieder zahlreiche Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen und insbesondere gegen eine Impfpflicht stattgefunden. Die mit rund 16.000 Teilnehmern größte fand in Hamburg statt. Auch in Freiburg (6.000 Teilnehmer), Frankfurt am Main (5.000 Demonstranten), Berlin und Schwerin (bis zu 2.000 Teilnehmer) fanden größere Protestkundgebungen statt. Vor dem Düsseldorfer Landtag hatten sich Polizeiangaben zufolge rund 6.000 Menschen versammelt. Angemeldet waren 2.000. Zu einer „Mega-Demo“ hatte man in Sachsen-Anhalts Hauptstadt Magdeburg aufgerufen, dort kamen mehrere tausend Protestierer zusammen. Eine Rednerin auf der Kundgebung nannte die Covid-Schutzimpfungen „den größten Genozid, der die Erde gerade überzieht“. Auch die baden-württembergische AfD-Bundestagsabgeordnete Christina Baum sprach auf der Bühne. 

Zehntausende Kritiker der Corona-Politik waren auch am Montag in ganz Deutschland auf die Straße gegangen. Allein in Thüringen zählte die Polizei rund 17.000 Demonstranten. Die Lage sei weitgehend ruhig gewesen, Eskalationen habe es keine gegeben. In Mecklenburg-Vorpommern gingen insgesamt mehr als 15.000 Kritiker der Corona-Maßnahmen auf die Straße. In Rostock versammelten sich rund 4.000 Menschen. In der Landeshauptstadt Schwerin lag die Zahl bei 2.400 Personen. Weitere 1.800 Demonstranten kamen in Neubrandenburg zusammen. In Greifswald versuchten Gegner der „Spaziergänge“, den etwa 650 Personen starken Demonstrationszug mit Sitzblockaden am Weiterlaufen zu hindern. In Sachsen wurde unter anderem in Bautzen, Freiberg und Hoyerswerda demonstriert. Unter den 600 Teilnehmern in Bautzen waren laut den Beamten auch gewaltbereite Hooligans. Mehrere Sicherheitskräfte sollen mit Pflastersteinen und Flaschen beworfen worden sein. Die Polizei habe wiederum Pfefferspray gegen die Demonstranten eingesetzt.

 Eine ausführliche Reportage zur Demonstration in Magdeburg finden Sie unter: www.jungefreiheit.de

 Kommentar Seite 2

Fotos: In Hamburg sind die bundesweit meisten Demonstranten gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gegangen: Daß der Bundestag eine  Impfpflicht im Schnellverfahren durchzieht, wird zunehmend bezweifelt; Das mit dem Fähnchen: Teilnehmer einer Demonstration in Düsseldorf protestieren gegen einen Impfzwang; Demonstranten in Magdeburg: „Genervt“ ...; ... mit Anleihen an die Vergangenheit