© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/22 / 14. Januar 2022

Auch Omikron läßt viele Fragen offen
Omikron und Impfungen: Wie verändern sich Nebenwirkungen durch den Booster? Ist die neue Corona-Variante weniger gefährlich?
Mathias Pellack

Neue Varianten des Coronavirus kommen und gehen wie das Wetter. Ist eine Virus-Linie einigermaßen erforscht und die Bevölkerung immunisiert, reihen sich gleich mehrere ein, sie abzulösen. Gegenwärtig dominiert Omikron in Deutschland und weltweit die Ansteckungen. Um die Bevölkerung nun vor Omikron zu schützen, sollte die Impfpflicht noch schneller kommen, meint Gesundheitsminister Karl Lauterbach: „Wir können nicht darauf warten, daß eine Impfpflicht überflüssig wird, weil wir eine sehr hohe Durchseuchung der Bevölkerung haben.“ Das stelle in seinen Augen trotz hoher Impfquote eine Gefahr dar, da Omikron viel ansteckender sei. Egal, daß die Krankheitslast im Entdeckerland Südafrika – die Welle ist dort bereits vorüber – gering blieb. So sieht es die eine Seite der Gesellschaft.

Auf der anderen Seite stehen Abgeordnete wie Wolfgang Kubicki (FDP), die sich gegen eine Pflichtimpfung wenden: „Der Bundestag kann eine allgemeine Impfpflicht nicht beschließen, solange er nicht einmal die Häufigkeit der mit der Pflicht verbundenen Schutzimpfungen kennt“, finden er und 20 weitere Abgeordnete der Liberalen. 

Hippokrates meinte vor über 2.000 Jahren zur Impfpflicht und zur Medikation allgemein „Mē blaptein“ – „zuerst und vor allem nicht schaden“. Doch gilt diese Weisheit, die besser in ihrer lateinischen Version „Primum non nocere!“ bekannt ist, auch für die Impfpflicht mit den gegenwärtigen und zukünftigen Impfstoffen? Impfstoffe müssen drei grundlegende Kriterien erfüllen: Zum einen müssen sie sicher sein, zum anderen wirksam. Zum dritten aber muß für eine Impfpflicht auch eine gewisse Notwendigkeit zur Impfung bestehen.

Die neuartigen Impfstoffe wecken dabei nach wie vor Zweifel aufgrund ihrer neuartigen Technologie, die allerdings laut EU-Nomenklatur explizit keine Gentherapie ist, weil Impfungen generell nicht der Unterscheidung in Gentherapie oder nicht unterworfen sind. Gentherapien zielen zudem darauf ab, das Erbgut der Zellen zu verändern. Das ist hier aber nicht der Fall und höchstens theoretisch möglich.

Unbedenklichkeit wird für Varianten-Impfung nicht geprüft

Prüfen wir. Hinsichtlich der Unschädlichkeit finden sich bei beiden mRNA-Impfungen mehr Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen, als sie in der hauptsächlich betroffenen Gruppe junger Männer ohnehin vorkommen. Eine großangelegte nordische Kohortenstudie belegt pro 10.000 Männer im Alter von 16 bis 24 Jahren 1,9 zusätzliche Entzündungen im Falle einer Moderna-Impfung – das bedeutet auf zehn Millionen Männer gerechnet 1.900 zusätzliche Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen. Zum Vergleich: Das Risiko eines gesunden durchschnittlichen 24jährigen, innerhalb der nächsten 90 Tage mit Covid-19 ins Krankenhaus zu müssen, wird laut der britischen Seite qcovid.org von der Oxford-Universität mit 1,02 zu 10.000 angegeben.

Biontech verursacht „nur“ 0,6 zusätzliche Herzentzündungen in derselben Gruppe. Die Fälle traten innerhalb eines Monats ganz überwiegend nach der zweiten Impfung auf, die den Antikörpertiter gegenüber der ersten wesentlich erhöht. Die Ständige Impfkommission (Stiko) hatte daher die Impfempfehlung mit Moderna zurückgenommen. Wie sich die Boosterung mit Biontech, die die Anti­körperdosis im Blut nochmal erhöht, auf diese Gruppe auswirkt, ist bisher unbekannt. Der frühneuzeitliche Mediziner Paracelsus bekannte dazu: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, daß ein Ding kein Gift ist.“

Diese schwerwiegende Impfkomplikation heilt in über 80 Prozent der Fälle gut aus. Problematisch an ihr ist aber, daß einmal Erkrankte besonders durch Rückfälle gefährdet sind. Speziell bei jungen Männern, die sich nach einer Herzmuskelentzündung, die oft erst einmal unbemerkt verläuft, nicht schonen, kann Beanspruchung langfristige Schäden nach sich ziehen.

Neben den bekannten Herzentzündungen äußert die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) den Verdacht, daß die Impfungen auch zu einer autoimmunen Hepatitis führen könnten. Körpereigene Abwehrzellen wurden hier durch die Impfung so umprogrammiert, daß sie die Leber angreifen. Dieses Phänomen ist aber bisher laut Deutschlands Institut zur Arzneimittelbewertung, dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI), sehr selten. Das heißt, sie tritt nur einmal nach einer Million Impfungen auf.

Der nach dem Zulassungsprofil sicherste Impfstoff hat also doch einige Mängel, die wie für die anderen gegebenen Impfstoffe mittlerweile recht gut bekannt sind. Biontech forscht derweil an einem Impfstoff für die Omikron-Variante und hofft, bis März in der Lage zu sein, den überarbeiteten Stoff auszuliefern. Gegenwärtig wird noch mit dem gegen die Ursprungsvariante entwickelten Stoff geimpft.

Das Problem daran ist, zur Zulassung würde dann von der EMA nicht mehr das komplette Durchlaufen der Studien wie bei einer Neuzulassung gefordert, wenn sich „im Herstellungsprozeß nur wenig ändert“, sagt PEI-Chef Klaus Cichutek. Der neue Impfstoff muß dann nur noch seine Wirksamkeit in einer kleineren klinischen Studie unter Beweis stellen. Die Sicherheit wird tatsächlich nicht noch einmal geprüft.

Dabei gäbe es durchaus Gründe, vor einer Boosterung mit einer Varianten-Impfung erneut die Unbedenklichkeit zu prüfen. Wissenschaftlich beschrieben ist ein Phänomen namens „Immunologische Erbsünde“ oder auch Antigenerbsünde genannt. Das kann eintreten, wenn ein Immunsystem bereits mit einer Virusvariante oder der spezifischen Impfung in Kontakt war und dann auf eine neue reagieren soll. Dabei produziert das Immunsystem Antikörper für die alte Variante, die manchmal nicht hilfreich bei der Bekämpfung der neuen sind, manchmal aber sogar schädlich sein können und schwerere Verläufe verursachen. Einige sehr wenige Fälle sind für Corona bereits berichtet.

Da niemand also eine schwere Nebenwirkung oder gar einen Impfschaden ganz ausschließen kann, übernimmt der Staat mögliche Entschädigungen. Das haben die Impfstoffhersteller in den Verhandlungen (JF 44/21) listig für sich herausverhandelt.

Ob dieser Grad an Sicherheit den Politikern als Grundlage für eine Impfpflicht genügt, wird die Abstimmung im Bundestag zeigen. Hier muß aber auch die Wirksamkeit geprüft werden. Es ist klar, daß diese hinsichtlich des Antikörperlevels innerhalb von zwei bis drei Monaten nachläßt. Der Schutz vor Infektion geht damit verloren. Das heißt, vor jeder neuen Virus-Welle – etwa zweimal jährlich – müßte die Bevölkerung weitgehend neu geboostert werden, um die Infektionszahlen zu drücken. Ein logistischer Aufwand, an dem Deutschland bisher gescheitert ist.

Genesene besser vor Omikron geschützt als zweifach Geimpfte

Weiter zeigen Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) sowie der dänischen und britischen Gesundheitsbehörden, daß Omikron sich unter zweifach Geimpften stärker verbreitet als unter Ungeimpften. Das kann daran liegen, daß Ungeimpfte weniger an gesellschaftlichen Veranstaltungen teilnehmen können, weil sie bei 2G-Regelungen ausgeschlossen werden. Wahrscheinlicher aber ist ein anderes statistisches Phänomen.

In den Daten des RKI-Wochenberichts von Ende Dezember sind die Genesenen die Gruppe mit der bei weitem geringsten Ansteckungsrate. Weiter befanden sich im Frühjahr laut der deutschlandweiten Antikörperstudie (MuSpad) etwa zehn Prozent unerkannt Genesene unter den Ungeimpften. Diese Gruppe verzerrt die Inzidenz der Ungeimpften stark. In diesen in der echten Welt generierten Zahlen zeigt sich, daß Genesene besser vor einer Infektion geschützt sind als dreifach Geimpfte. Hier gibt es aber Studien, die dem widersprechen. RKI-Zahlen zeigen aber auch, daß die natürlich gewonnene Immunität am wirksamsten ist; sie birgt aber das Risiko eines ungewissen Ausgangs der Erstinfektion.

Interpretieren ließe sich die Datenlage so, daß für die Omikronwelle nur frisch Geimpfte (egal ob Zweit- oder Drittimpfung) und Genesene als weniger infektiös gelten. Hinsichtlich der Krankheitslast scheint Omikron sehr glimpflich zu verlaufen. Wird dabei, wie in Deutschland, aber nicht zwischen der Hospitalisierung „mit“ oder „wegen“ Corona unterschieden, wird die Hospitalisierungsinzidenz in den nächsten Wochen steigen. Britische Daten, die diese Unterscheidung vornehmen, zeigen jedoch, daß eine Mehrheit der Fälle mittlerweile nur „mit“ Corona im Krankenhaus liegt. In der Delta-Welle waren dort wie auch in Deutschland noch gut 80 Prozent der Corona-Fälle tatsächlich „wegen“ Corona im Krankenhaus.

Die Wirksamkeit gegen Übertragung ist den Erkenntnissen nach für wenige Monate nach der Impfung hoch, gegen schwere Krankheitsverläufe bleibt der Schutz dagegen zwischen einem halben und einem ganzen Jahr bestehen. Möglicherweise kann eine T-Zell-Immunität sogar noch länger bestehen.

Omikrons Chancen, die Bevölkerung soweit zu immunisieren, daß die Politik das Vorhaben, die Impfpflicht zu beschließen, fallenläßt, sind indes klein, weil die Immunisierung durch diese milde Variante offenbar nicht sehr gut gegen schwere Varianten wie Kappa oder Lambda schützt, die häufiger zu schweren Verläufen führen als die Ursprungsvariante. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die älteren Varianten oder ihre Abkömmlinge wieder das Feld übernehmen, wenn die Bevölkerung eine Immunität gegen die aktuellen sich schneller ausbreitenden Linien erworben hat.

Eine gewisse Notwendigkeit, die Bevölkerung vor Corona zu schützen, wird in den Augen des Staates also bestehenbleiben. Unterdessen zeigt sich wieder die alte Krankheit in der deutschen Pandemiebekämpfung: Es bleibt alles im Ungefähren und bewirkt so ein Gefühl von Ungerechtigkeit und Willkür. Jüngstes Beispiel ist die Zusage der Bundesländer, im Falle der Unterschreitung der Hospitalisierungsinzidenz von drei die 2G-Regel aufzuheben, die erst am 18. November beschlossen wurde. In acht Bundesländern ist die Rate der Covid-Patienten in den Krankenhäusern unter dieser geringsten Warnstufe. Trotzdem hat kein Bundesland die Ungeimpfte vom öffentlichen Leben ausschließende Regel zurückgenommen. Die Hoffnung, daß besseres Wetter die Maßnahmen wieder überflüssig werden läßt, hatte sich bereits im letzten Jahr nicht überall und wenn dann nur kurz bewahrheitet.

(Grafiken siehe PDF)

Foto: Viel Abstand im Friseursalon: Einen speziell auf die Omikron-Welle angepaßten Impfstoff wird es frühestens ab März geben. Der Corona-Politik muß jetzt der Spiegel vorgehalten werden