© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/22 / 14. Januar 2022

Falsche Prioritäten gesetzt
Automarkt: BMW und Toyota trotzen dem globalen Chipmangel / Hohe Gebrauchtwagenpreise
Christian Schreiber

Obwohl es gesünder ist, ins Auto als in den überfüllten ÖPNV einzusteigen, brach der Pkw-Absatz 2021 weiter ein: 227.630 Pkw wurden im letzten Monat des alten Jahres neu zugelassen, das waren 26,9 Prozent weniger als im Dezember 2020. In der Jahresbilanz stehen somit insgesamt 2,62 Millionen Neuwagen, was einem Rückgang von mehr als 10,1 Prozent im Vergleich zu 2020 bedeutet. Das ist so wenig wie nie seit der deutschen Wiedervereinigung 1990. 2019 waren noch 3,61 Millionen Pkw in Deutschland neu zugelassen worden.

In Italien (+8,6 Prozent), Spanien (+3,8 Prozent) und Frankreich (+2,5 Prozent) ging es beim Absatz wieder aufwärts, wie aktuelle Zahlen des Europäischen Autoherstellerverbands Acea für die Monate Januar bis November 2021 zeigen. Doch nicht nur in Europa steht der Automarkt kopf: Erstmals seit 90 Jahren ist General Motors (GM) nicht mehr der Marktführer in den USA. Die einstige Opel-Mutter, inzwischen reduziert auf die Marken Buick, Cadillac, Chevrolet und GMC verkaufte 2021 nur noch 2,2 Millionen Autos und war damit nur noch die Nummer zwei. Spitzenreiter ist Toyota mit insgesamt 2,3 Millionen verkauften Fahrzeugen, die allerdings nicht in Japan, sondern überwiegend in den USA, Kanada und Mexiko hergestellt wurden.

Gleichzeitig stiegen weltweit die Preise für Gebrauchtwagen. In Deutschland mußten im Schnitt 22.841 Euro gezahlt werden. Das waren 2.027 Euro (9,7 Prozent) mehr als 2020, wie das Verkaufsportal AutoScout24 berichtete. Besonders teuer wurden die raren älteren Benziner, die mit Autogas (LPG) betrieben werden können – sie kosteten 20 Prozent mehr. Der Preis für die gebrauchte Mittelklasse à la Passat kletterte um 14,1 Prozent. Nur bei Mini-Vans (Touran, Zafira & Co.) ließ sich noch ein Schnäppchen machen (+1,8 Prozent).

Ein Grund für Friktionen ist der Chipmangel, der wichtige Autobauer wie VW belastet. 2019 war der Wolfsburger Konzern mit Weltmarken wie Audi, Porsche oder Škoda mit 10,71 Millionen verkauften Pkw und leichten Nutzfahrzeugen noch der größte Autohersteller der Welt. Das ist seit 2020 wieder unangefochten Toyota. Die Japaner mit Großfabriken auf vier Kontinenten sind viel besser durch die Krise gekommen. Der Absatz in den USA stieg 2021 um gut zehn Prozent – und das bislang ganz ohne rein batterieelektrische Fahrzeuge à la Tesla oder VW ID.3. Geprägt durch die Erfahrungen nach der Katastrophe von Fukushima setzen die Japaner schon seit Jahren auf höhere Lagerbestände und stabile Lieferbeziehungen.

Dies zahlt sich nun aus. Wer ein neues Auto kauft, muß immer länger darauf warten. „Je nach Fabrikat und Modell hat sich die Lieferzeit bei einem Großteil auf drei bis sechs Monate eingependelt“, sagte Marcus Weller, Marktexperte beim Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe. Bei manchen Premiummodellen müßten Kunden ein Jahr lang warten. Rabatte gibt es daher kaum noch – das trifft auch die Autovermieter. Ihre Preise haben sich teilweise verdoppelt. Während im Corona-Jahr 2020 Verträge mit Chip-Produzenten und Zulieferern hektisch storniert wurden. Die Auswirkungen sind fatal, auch für die Belegschaft. In der Produktion fallen aufgrund des Teilemangels wochenlang Schichten aus. Und die Hersteller reservieren die Mangelwaren dann zunächst für teurere Modelle.

VW-Konzern, Ford und Mercedes in schwieriger Lage

Besonders prekär ist die Lage in Wolfsburg. Der gesamte VW-Konzern hat 2021 ein regelrechtes Horror-Jahr hinter sich. Porsche und Audi wurden vorrangig bedient, um das Konzernergebnis trotz fehlender Halbleiter weiterhin hoch halten zu können. Die Kernmarke Volkswagen oder Škoda gehörten zu den Verlierern, weil sie ihre Produktion viel stärker einschränken mußten. Die elektrischen ID-Modelle kommen in China nicht gut an. Globale Gesamtzahlen liegen allerdings noch nicht vor.

Auch Ford hat andere Sorgen, als im Januar den ersten neu entwickelten Nachkriegswagen – den 1952 vorgestellten Taunus 12M mit selbsttragender Karosserie – zu feiern. Schon vor Corona wurden fünf Werke in Europa geschlossen. Ein weiteres soll nun folgen, im Gespräch ist Saarlouis, wo der Focus vom Band rollt. Köln (Fiesta) und Valencia, wo das SUV Kuga produziert wird, stehen aber nicht zur Disposition.

Bestens ist die Stimmung dagegen in München. BMW hat 2021 trotz Corona und Chipkrise erstmals mehr als 2,2 Millionen Autos seiner Stammmarke verkauft. „Damit sind wir mit der Marke BMW auch auf Platz eins im globalen Premiumsegment – und zwar mit deutlichem Abstand“, freute sich Vertriebsvorstand Pieter Nota. Auch die britische Luxus-Tochter Rolls-Royce feierte den besten Absatz in der 117jährigen Firmengeschichte: 5.586 Autos wurden verkauft – 49 Prozent mehr als 2020. Der zur Hälfte in Familienbesitz befindliche Konzern, der bei Sportwagen und Forschung mit Toyota kooperiert, hatte sich anders als VW mehr um seine Mikrochip-Lieferung gekümmert. Die Partnerschaft mit dem Münchener Halbleiterhersteller Inova Semiconductors und dem US-Produzenten Globalfoundries sichert die Lieferkette ab: „Das erhöht die Planungssicherheit und Transparenz über die benötigten Mengen“, so BMW-Einkaufsvorstand Andreas Wendt.

Beim Dauerkonkurrenten Mercedes geht es hingegen drunter und drüber. Der Daimler-Konzern wurde 2021 aufgespalten. Das freut Banken, Finanzinvestoren und wohl auch die Haupteigner in China, Kuwait und den USA. Die Mercedes-Benz AG bleibt im Pkw- und Van-Geschäft, die Daimler Truck AG setzt auf Lkw und Busse und Daimler Mobility übernimmt den Finanzbereich. Branchenexperten sind hingegen skeptisch. „Das Schlimme dabei ist: Niemand hat sich darüber aufgeregt – auch im Ländle nicht. Die Machtposition des alten Konzerns ist damit dahin, die Einzelteile des Konzerns sind für Investoren verdaulicher geworden. Daimler wird zum Übernahmekandidaten“, warnte Helmut Becker, der 24 Jahre lang Chefökonom von BMW war.

Auch die aktuellen Produktionszahlen stimmen nachdenklich: Mercedes-Benz hat 2020 nur 2,05 Millionen Fahrzeuge ausgeliefert – fünf Prozent weniger als im Corona-Jahr 2020. Im Heimatmarkt Deutschland lag der Absatzeinbruch mit 25,5 Prozent besonders hoch. In Europa gab es einen Rückgang von über elf Prozent, selbst in China gab es ein Minus von zwei Prozent. Nur in den USA, wo in Alabama die Riesen-SUV GLE und GLS vom Band laufen, gab es einen leichten Absatzzuwachs. Nur der subventionierte Absatz von E-Autos lief bestens: 48.936 Fahrzeuge der Marke EQ wurden abgesetzt – 154,8 Prozent mehr als 2020.

Aktuelle Zulassungszahlen in Deutschland kba.de

Foto: Unfertige Mercedes-Sprinter auf einem Parkplatz in Hannover: Wird der aufgespaltene Daimler-Konzern bald zum Übernahmekandidaten?