© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/22 / 14. Januar 2022

Polens Schutzschild
Energiepolitik I: Die Regierungen in den EU-Staaten reagieren sehr unterschiedlich auf die gestiegenen Importpreise
Paul Leonhard

Zwischen April 2020 und Januar 2022 haben sich die Benzinpreise in den USA fast verdoppelt – von 1,65 auf 3,28 Dollar. Das sind umgerechnet 76 Euro-Cent pro Liter und es entspricht dem Preisniveau von September 2014. Da eine Reduzierung der US-Benzinsteuer von 4,3 Euro-Cent lächerlich wäre, hat Joe Biden einen Teil der strategischen Ölreserven freigegeben, um Preisanstieg zu dämpfen (JF 49/21). Schließlich braucht der Fünf-Liter-Motor im Pickup-Truck bis zu 15 Liter pro 100 Kilometer. Selbst an der progressiven Westküste ist der Liter Normalbenzin noch für unter 90 Euro-Cent zu haben. Von solchen Preisen können EU-Bürger nur träumen – selbst im Armenhaus Bulgarien werden 1,20 Euro für einen Liter Super verlangt.

Die medial verteufelte sozialkonservative PiS-Regierung in Polen hat daher einen „Anti-Inflations-Schutzschild“ errichtet – auch zur Freude von Deutschen, Tschechen und Slowaken, die im Grenzgebiet wohnen: Statt 1,70 bzw. 1,45 Euro werden zwischen Oder und Bug wie in Rumänien nur 1,25 Euro pro Liter fällig. Warschau hat die Spritsteuer auf den niedrigsten Wert gesenkt, der nach EU-Recht möglich ist. Eine weitere Preisreduktion wird es geben, wenn ab Februar die auf Benzin und Diesel erhobene Mehrwertsteuer von 23 auf acht Prozent sinkt. Um Brüssel nicht zu provozieren, ist die Absenkung – wie in Deutschland 2021 – auf ein halbes Jahr befristet.

Obwohl zu Jahresanfang die zweite Stufe der „CO2-Bepreisung“ in Kraft getreten ist (30 Euro pro Tonne; 8,4 Cent Aufschlag pro Liter Benzin, 9,5 Cent bei Diesel) sowie weiterhin Energie- und Mehrwertsteuer fällig werden, ist Deutschland beim Benzinpreis – anders als beim Strompreis – noch nicht Weltspitze: In den Niederlanden steht meist eine Zwei vor dem Komma. Auch Hochsteuerländer wie Finnland, Schweden oder Dänemark langen kräftiger hin. Daß der Benzinpreis in der Schweiz mit 1,63 Euro auf französisch-belgisches Niveau kletterte und klar über dem EU-Schnitt von 1,54 Euro liegt, ist dem gesunkenen Euro-Wechselkurs gegenüber dem Franken zu „verdanken“. Richtig sparen können Deutsche weiterhin im Grenzbereich zu Luxemburg (1,48 Euro) und Österreich (1,40 Euro). Auch beim für die Transportbranche entscheidenden Dieselpreis ist Deutschland „nur“ im oberen EU-Mittelfeld: In Schweden werden zwei Euro pro Liter verlangt – in Ungarn, Polen, Rumänien oder Bulgarien aber weniger als 1,30 Euro.

Hilfsgelder und gemeinsame Gaskäufe der EU-Staaten?

Weniger politischen Handlungsspielraum gibt es bei den gestiegenen Strom- und Gaspreisen, denn hier hat der Klimawahn noch nicht voll zugeschlagen. In zwei Drittel der EU-Länder kostete elektrische Energie 2021 noch weniger als 20 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Erdgas wird im EU-Schnitt nur mit etwa 25 Prozent Steuern belastet. Doch auch in Polen der stieg Strompreis um 24 und der Gaspreis um 54 Prozent – die derzeitige Energiepreisinflation ist nicht nur ein Eurozonen-Phänomen. Doch nicht nur Gas aus Mittelasien, Rußland oder Norwegen wurde teurer, auch Algerien und Libyen kassieren ordentlich ab: Das spüren Frankreich, Italien, Spanien und Portugal – deren Gas kommt aus den Mittelmeer-Pipelines.

Kein Wunder, daß alle Regierungen auf mildes Winterwetter hoffen. Während deutsche Leitmedien im Dezember noch behaupteten, ein Grad weniger Raumtemperatur spare zehn Prozent Heizkosten, plant die italienische Regierung mit Subventionen in Milliardenhöhe die hohen Strom- und Gaskosten erträglicher zu machen. In Frankreich haben bereits 5,8 Millionen arme Haushalte Energiegutscheine erhalten. Insgesamt 20 EU-Staaten haben bisher Steuern gesenkt oder Hilfen für Einkommensschwache verabschiedet.

Und da in diesem Jahr vier Landtagswahlen anstehen, will nun auch die Bundesregierung Hilfe leisten: Die 710.000 Wohngeldhaushalte sollen einen einmaligen Heizkostenzuschuß erhalten. Alleinstehende werden mit 135 Euro bedacht, Paare mit 175 Euro. Für jeden weiteren Mitbewohner soll es weitere 35 Euro geben. 130 Millionen Euro soll die Aktion kosten. Angesichts der Milliardeneinnahmen aus Energiesteuer und CO2-Bepreisung ist das lächerlich – und bei um ein Drittel steigenden Gaspreisen nur ein Tropfen auf den heißen Klimastein. Spanien fordert hingegen gemeinsame Gaskäufe der 27 EU-Staaten. Eine Idee, die von der EU-Kommission derzeit geprüft wird. Bis eine Entscheidung gefallen ist, dürfen die Mitgliedsstaaten kleine Firmen subventionieren, Steuern senken oder Direkthilfen auszahlen, ohne daß das als Verstoß gegen EU-Wettbewerbsregeln betrachtet wird.

Berücksichtigt werden sollen dabei nach Vorstellungen Brüssels auch „schutzbedürftige Bürger“, um die Konsequenzen für sie und die Unternehmen „diesen Winter zu mildern“. Angesichts dessen ist die Steigerung bei den Benzin- und Dieselpreisen nur die Ruhe vor dem Energiepreissturm 2022. Energiegutscheine muß Joe Biden übrigens nicht verteilen: Mit durchschnittlich 12,5 Euro-Cent pro kWh ist Strom in God’s Own Country billiger als in Kroatien oder Rumänien. Selbst im woken Kalifornien sind es nur 19,5 Euro-Cent.

 www.avd.de

 www.eia.gov

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