© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/22 / 14. Januar 2022

Portugals Einfluß schwindet
Macau: Die chinesische Sonderverwaltungszone muß sich mehr und mehr dem Druck Pekings beugen
Marc Zoellner

Zumindest auf den ersten Blick ist dieses Geschäft ein besonders lukratives für Macau: Mit der Insel Hengqin, gleich westlich der florierenden Hafenmetropole im südchinesischen Meer, sollen der einstigen portugiesischen Kolonie über 100 Quadratkilometer an Neuland zugesprochen werden. Die Fläche der chinesischen Sonderverwaltungszone Macau könnte sich somit mehr als vervierfachen. 

Erst Anfang September hatte die Zentralregierung in Peking die Ausweitung bestätigt, der Teil des „Zweiten Fünfjahresplans für wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung“ ist und bis 2025 gelten soll. Für Macau bedeutet das eine spürbare Entlastung, ist das Gebiet mit 21.000 Menschen pro Quadratkilometer doch die am dichtesten besiedelte Region der Welt. Die ehemals portugiesische Stadt hatte seit 2009 bereits den östlichen Küstenstreifen Hengqins gepachtet, um dort unter anderem eine Universität zu bauen. 

„Ein Land, zwei Systeme“ soll auch für Insel Hengqin gelten

Die Regelung „ein Land, zwei Systeme“, von der neben Macau auch die ehemalige britische Kolonie Hongkong profitiert, soll laut der Regierung in Peking künftig auch auf der Insel gelten. Bislang war Hengqin Teil einer Sonderwirtschaftszone gewesen: eine rein industrielle Agglomeration mit weniger als 3.000 ständigen Einwohnern. Der Wohlstand Macaus wiederum beruhte vorrangig auf dessen Spielcasinos. Diese übertrafen mit ihren Milliardenumsätzen teilweise jene in den Casinos in Las Vegas um ein siebenfaches. Zudem machten sie mehr als die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts aus und verliehen Macau den glanzvollen Beinamen „Monte Carlo des Ostens“.

Das neue Modell soll es Macau ermöglichen, an der Entwicklung Hengqins teilzuhaben, erklärt Wang Fuqiang, der die Abteilung für industrielle Planung im „China Center for International Economic Exchanges“ (CCIEE) leitet, eine der bedeutendsten Denkfabriken Pekings. „Es wird ebenso ein ganzheitliches Umfeld schaffen, welches angemessener für Macaus Geschäftsfeld und vorteilhafter für seine Einwohner sein wird.“ Denn vom Glücksspiel allein könne die Sonderverwaltungszone künftig nicht mehr wachsen, argumentiert Peking zum Schrecken der Macauer Casinobetreiber. 

Im Juni 2022 steht die Verlängerung der staatlichen Konzessionen für sämtliche Glücksspielbetreiber Macaus an. Im vergangenen September allerdings veröffentlichte die chinesische Zentralregierung einen über die kommenden anderthalb Monate angeblich zur politischen Debatte stehenden Maßnahmenkatalog. Dieser sieht Beschneidungen bei der Anzahl und Dauer einzelner Konzessionen als auch eine erhöhte staatliche Überwachung des Glücksspielsektors vor. 

Zudem wird darin eine größere „einheimische Eingentümerschaft“ an den Casinos gefordert. Bereits aufgrund des Drucks durch den coronabedingten Wegfall von Touristen fielen die Aktien führender Investoren am Tag der Veröffentlichung des Katalogs um bis zu 27 Prozent. Für Macaus Glücksspielbetreiber und deren Aktionäre ist die Krise eine politisch erzeugte. „Wenn die Gesetze sich derart ändern, daß sie die Einnahmen schmälern oder die Gewinne einengen, wäre das sehr schlecht für eine Region, die einst als Gelddruckmaschine galt“, mahnt Travis Hoium vom Investorblog „The Motley Fool“. Mit dem Versprechen, ein „modernes, schönes, glückliches, sicheres und harmonisches Macau“ zu schaffen, bewirbt Macaus Regierung indes die weitgreifenden Pläne Pekings. Das politische Zugeständnis, die Befugnisse Macaus auf seine westliche Nachbarinsel zu erweitern, kommt schließlich nicht von ungefähr. Zwar war die Hafenstadt nach beinahe 450jähriger portugiesischer Kolonialgeschichte bereits am 20. Dezember 1999 an China zurückgefallen, doch noch immer besitzen 100.000 Einwohner in Macau neben der chinesischen auch die portugiesische Staatsbürgerschaft. Bei rund 650.000 Bürgern ist das immerhin jeder sechste. 

Portugiesisch zählt überdies weiter als Amtssprache, und Macau gilt als Anwärter zur Aufnahme in die „Gemeinschaft der Portugiesischsprachigen Länder“ (CPLP), welcher neben Portugal acht weitere Staaten auf drei Kontinenten mit insgesamt 250 Millionen Menschen angehören.„Macau ist eine Drehscheibe von Handel und Dienstleistungen zwischen dem chinesischen Festland und der CPLP“, bestätigt Maria Joao, die Stellvertreterin des CPLP-Unternehmerverbands in Macau. Die geographische Nähe der Stadt zu Hongkong sowie die strategische Lage vieler Mitgliedsländer der CPLP an der „Neuen Seidenstraße“ könnten den portugiesischsprachigen Staaten helfen, „Chinas Verbrauchermarkt zu erschließen und an Chinas Entwicklung teilzuhaben.“ 

Seinen tatsächlichen Nutzen der territorialen Vergrößerung Macaus sieht Peking in den Sprachkenntnissen der portugiesischen Diaspora der Metropole, die China als weiterer Schlüssel zur Vormachtstellung auf den Weltmärkten dienen sollen – mit weit lukrativerer Aussicht für China als für die ehemalige portugiesische Kolonie. Lag das Außenhandelsvolumen des Reichs der Mitte mit der CPLP 2003 noch bei rund elf Milliarden US-Dollar, vervielfachte sich selbiges bis 2018 bereits auf über 147 Milliarden US-Dollar, jedoch bei einer Devisendifferenz Chinas, welches bevorzugt Nahrungsmittel aus den CPLP importiert, von zuletzt jährlich mehr als 60 Milliarden US-Dollar. 

Die geplante Diversifizierung der Macauer Wirtschaft fort vom Glücksspiel und hin zu den vier aufkeimenden Industrien: der technologischen Forschung, der traditionellen chinesischen Medizin, dem Tourismus und den modernen Finanzdienstleistungen“, wie der Macauer Professor für Rechtswissenschaften, Alexandr Svetlicinii, zusammenfaßt, soll dieses Handelsdefizit nach Pekings zweitem Fünfjahresplan bereits im kommenden Jahrzehnt ausgleichen. Und mit der geplanten staatlichen Beteiligung am Glücksspiel verspricht sich die Zentralregierung gleich ein weiteres Stück vom lukrativen Macauer Devisenkuchen.China kann es sich leisten, der Sonderverwaltungszone umfangreiche wirtschaftspolitische Zugeständnisse zu gewähren – eine größere innenpolitische Autonomiebestrebung Macaus ist dadurch nicht zu befürchten. Dies wurde zuletzt bei der Wahl der sogenannten gesetzgebenden Versammlung des Regionalparlaments der Stadt Macau Mitte September vorigen Jahres überdeutlich. 

Regierung in Peking verschärft Wahlordnung zu ihren Gunsten

Alle vier Jahre neu konstituiert, besteht die gesetzgebende Versammlung aus insgesamt 33 Abgeordneten, von denen 14 direkt gewählt werden. Zwölf weitere Abgeordnete werden von Interessengruppen aus dem Wirtschafts-, Industrie- und Finanzsektor ernannt, die übrigen sieben von Macaus Regierungschef. Im benachbarten Hongkong, Chinas zweiter Sonderwirtschaftszone, herrscht ein ähnliches politisches System: Auch hier werden lediglich 35 der 70 Abgeordneten der Gesetzgebenden Versammlung vom Wähler direkt, die andere Hälfte von Interessenverbänden gewählt. 

Im September 2016 hatten die Hongkonger noch mit einer Mehrheit von 55 Prozent der Stimmen prodemokratische und nach Abgrenzung von China strebende Kandidaten in ihre Versammlung gewählt. Einzig das Wahlsystem verhinderte am Ende eine Zusammensetzung des Parlaments zuungunsten Festlandchinas. Die pro-Pekinger Fraktion erhielt schlußendlich ganze 57 Prozent der Sitze. Im Dezember 2021 waren erneut Wahlen in Hongkong angesetzt. 

Nach den anhaltenden pro-demokratischen Unruhen in der ehemaligen britischen Kronkolonie verschärfte Peking  die Wahlordnung drastisch: Die Anzahl der Abgeordneten wurde von 70 auf 90 erhöht, von denen jedoch nur noch 20 statt bisher 35 direkt gewählt werden können. Weitere 30 bestimmen die Interessenverbände. 

Die jüngsten Umfragen aus dem vergangenen Jahr verzeichneten eine stabile Mehrheit für die pro-demokratische Fraktion, während die Pekingtreuen im unteren zweistelligen Bereich stagnierten. Die neue Wahlordnung Hongkongs drehte diesen Trend bei der Dezemberwahl allerdings deutlich zugunsten Pekings. Mit nur 30,2 Prozent der abgegebenen Stimmen verzeichnete die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong die niedrigste Wahlbeteiligung zu einer Parlamentswahl seit ihren ersten demokratischen Wahlen vom September 1991. Von den insgesamt 90 zu verteilenden Sitzen fielen gleich 89 an peking-treue Kandidaten.

Einen Vorgeschmack auf die Zukunft Hongkongs lieferte die Parlamentswahl in Macau, die ganz nach Pekings Wunschvorstellung ausging: Ganze 21 zum Teil sehr prominente Kandidaten wurden vom Wahlkomitee bereits im Vorfeld des Wahlprozesses aufgrund angeblicher Verfassungsuntreue sowie ihrer Teilnahme an einer Gedenkveranstaltung zum Jahrestag des Pekinger Tian’anmen-Massakers vom 4. Juni 1989 ausgeschlossen. 

Damit verfielen gleichzeitig fünf pro-demokratische Parteiwahllisten samt ihren Parteien. Einzig die Partei „Neue Hoffnung“ vermochte unter Führung des Macanesen José Pereira Coutinho bei 14 Prozent Stimmanteil zwei Sitze für sich zu erobern. Die Wahlbeteiligung lag mit 42 Prozent in einem historischen Alljahrestief. „Offizielle schieben die niedrige Wahlbeteiligung auf die Pandemie sowie das heiße Wetter“, berichtet die Nachrichtenseite AsiaNews. 

Mit Ho Iat-seng regiert seit Dezember 2019 ein eifriger Vasall Pekings über Macau, der zuvor selbst über Interessenverbände in die gesetzgebende Versammlung eingezogen war. An diesen Verbänden hält das pekingtreue Lager aufgrund Hos Lobbyarbeit mittlerweile 390 der 400 Wahlmännerstimmen. In der gesetzgebenden Versammlung besetzen die Pekingtreuen seit Wahlauszählung 29 der 33 Abgeordnetensitze. 

Durch Slogans wie „Hoffnung kommt vom Volk, Veränderung vom Widerstand“ oder auch schlichte „Nein!“-Kommentare hatten Tausende Macauer Wähler aus Protest gegen die manipulierte Wahl ihre Stimmzettel ungültig gemacht. In einer Resolution vom 16. September verurteilte schließlich auch das Europäische Parlament Pekings Vorgehen in der Sonderwirtschaftszone in ungewohnt scharfem Duktus. China habe „das Grundgesetz Macaus zu respektieren, welches bis 2049 in Kraft ist“, sowie auch die Bestimmungen der „Gemeinsamen Chinesisch-Portugiesischen Erklärung‘, die jegliche Einmischung in die Wahlprozesse des Landes und die Funktionsweise der Medien unterbindet.“

Foto: Chinesische Soldaten hissen in der Sonderverwaltungszone Macau die Flagge Chinas: Dem Las Vegas des Ostens ergeht es wie Hongkong