© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/22 / 14. Januar 2022

Dorn im Auge
Christian Dorn

Als ich im Radio höre, daß der Abgeordnete seine Immunität verlieren soll, wird mir bewußt: Der Informationskrieg in den Zeiten des nun wieder zunehmenden Lichts verspricht kaum Aufklärung. Entsprechend gespenstisch wirkt auf mich am jüngsten Sonntag die Gottesdienstübertragung des Deutschlandfunks aus dem „House of One“ – ein gemeinsamer „Service“ von christlichem, jüdischem und islamischem Glaubensbekenntnis. Fehlte nur noch die Einspielung des Queen-Songs „One Vision“, dessen Credo sich ja am Ende selbst auf den Arm nimmt: „Just gimme fried chicken!“ Das wiederum läßt mich an den Vorwurf denken, die Menschen mutierten mit den neuen Impfstoffen zu „Versuchskaninchen“. Tatsächlich wird der alltägliche Umgang immer unversöhnlicher – und wirklich: Überall Faschismus! So berichtet mir meine ungeimpfte Nachbarin, der als prominenter Serien-Schauspielerin deshalb die Kündigung droht, Horrorgeschichten von den Impfungen aus ihrem nächsten Umfeld und schließt mit Blick auf das politische Theater: „Das ist Faschismus!“ Zum gleichen Schluß, allerdings aus entgegengesetzter Richtung, kommt mein einstiger Kommilitone aus der DDR-Opposition vor der Gethsemanekirche, der als Betreuer arbeitet und mir berichtet, wie von seinen knapp 70 Klienten binnen eines Jahres zehn „an oder mit Corona“ gestorben seien. Sonst wären es nur ein oder zwei Personen pro Jahr. Mit Blick auf den „Sozialdarwinismus“ der radikalen Impfgegner schließt er ebenso apodiktisch: „Das ist Faschismus!“

„Spalt“ oder „Test the West“–mehr als eine sarkastische Reflexion scheint mir nicht möglich.

Unvermittelt erinnere ich mich an die Werbekampagnen aus meiner Kindheit und Jugend – etwa die Schmerzen abschaltende Tablette „Spalt“ oder die Freiheit verkündende säkulare Losung „Test the West“ –, doch mehr als eine sarkastische Reflexion scheint mir nicht möglich. Vor dem Café des Westsektors fragt mich S., eine zierliche Person, ob ich denn getestet sei. Rhetorisch frage ich zurück, woraufhin es aus ihr herausbricht: Sie sei gerade mit einer Monster-Kanüle von Johnson & Johnson geboostert worden: „Mir ging es danach so dreckig, ich dachte, ich krepiere – nie wieder!“

Doch „history repeats itself“, das zeigt mir auch die Demonstration gegen den Corona-Maßnahmestaat in Halberstadt kurz nach Weihnachten, als die Menge – wie eine Flutwelle – sich den Weg durch die Straßen bahnt. Es erinnert mich an die Klage der Politik, daß man es wieder nicht geschafft habe, „vor die Welle zu kommen“. Doch ich bin hier mittendrin und laufe stundenlang mit,  als wäre es gar nichts – jetzt, so denke ich, verstehe ich auch, wie es 2015ff. die „Fachkräfte“ von Aleppo bis Aachen geschafft haben. Doch als ich unbedacht das Wort „Demonstration“ ausspreche, wird mir sofort von allen Seiten zugeflüstert: „Das ist ein Spaziergang.“ Mein Schulfreund, der jetzt im Landtag sitzt, sagt mir euphorisiert: „Christian, das ist wie ’89!“ Als ich gerade widersprechen will, mischt sich ein Parteifreund ein: „Wieso, das ist doch genau das gleiche: Wir sind damals verarscht worden, und jetzt werden wir wieder verarscht.“ Da muß auch ich kurz lachen, immerhin ist das bekanntlich gesund.