© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/22 / 14. Januar 2022

Witzeleien in jüdischer Tradition
Belletristik: Michel Bergmanns Auftaktband zu einer Krimireihe um den ermittelnden Frankfurter Rabbi Silberbaum
Filip Gaspar

Der Drehbuchautor, Regisseur und Schriftsteller Michel Bergmann, 1945 als Kind jüdischer Eltern in einem Internierungslager in der Schweiz geboren, hat bereits mit seinen Büchern „Die Teilacher“ und „Machloikes“, die vom Alltagsleben Frankfurter Juden im Nachkriegsdeutschland der fünfziger Jahre erzählen, bewiesen, daß er deutsch-jüdischen Stoff zu Bestsellern zu verweben vermag. 2017 erschien auf diesen Romanen basierend der Film „Es war einmal in Deutschland“ mit Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle.

Jetzt hat Bergmann mit „Der Rabbi und der Kommissar: Du sollst nicht morden“ seinen ersten deutsch-jüdischen Krimi veröffentlicht. Dieser hat nicht nur ein von dem orthodoxen Frankfurter Rabbiner Julian-Chaim Soussan ausgestelltes Koscher-Zertifikat erhalten, sondern soll auch der Auftakt zu einer Krimireihe mit jährlich erscheinenden Fortsetzungen sein. Denn wie der Titel des ersten Krimis vermuten läßt – das fünfte Gebot in seiner ursprünglichen Überlieferung – sind noch neun weitere geplant, die sich an den anderen Geboten orientieren.

Bis zum Schluß auf falsche Fährten gelockt

Schauplatz des Geschehens ist wieder das jüdische Milieu in Frankfurt am Main. Dort ist Bergmann nach einigen Jahren in Paris aufgewachsen und kennt sich aus. Der Ermittler und zugleich die Hauptfigur ist Rabbi Henry Silberbaum, dem Bergmann viele Klischees verpaßt hat, was zu einem wahren Lesevergnügen führt. Der selbstironische jiddische Witz, die alles hinterfragende Skepsis, die den Rabbiner zu einem guten Dtektiv macht, fehlt ebensowenig wie weiteres jüdisches Personal, ein Gemeindevorsitzender, ein Rechtsanwalt, ein Arzt, und natürlich die Mutter des Rabbis, die ihm ständig im Nacken sitzt.

Apropos Mutter: In einem Interview mit der Jüdischen Allgemeinen hat Bergmann verraten, daß seine eigene Mutter das Vorbild für die literarische Figur gewesen sei. Deswegen habe er auch noch ein Buch über sie geschrieben mit dem Titel „Mameleben“.  

Zur Handlung: Silberbaum wohnt und arbeitet in Frankfurt in einem jüdischen Seniorenstift. Außer um dessen Bewohner kümmert er sich auch um seine Schüler und hält sich mit Schwimmen und Fahrradfahren fit. Außerdem führt er noch eine Fernbeziehung mit seiner New Yorker Freundin, die sich partout weigert, ihn im „Täterland“ Deutschland zu besuchen. 

Nicht nur jüdische Klischees bedient Bergmann gewohnt, sondern auch solche aus der Krimiwelt, ohne den Leser dabei zu langweilen. Ganz im Gegenteil: Krimifans erwarten dies und reiben sich amüsiert so manches Mal beim Lesen die Hände, nur um dann doch wieder auf eine falsche Fährte gelockt zu werden. Der Gärtner war es also nicht, und wer wie bei Columbo erwartet, daß der Täter gleich zu Beginn enthüllt wird, der wird bis zum Ende dranbleiben müssen.

So auch im ersten Fall. Eine wohlhabende und herzkranke Bewohnerin des Altenheims verstirbt unerwartet. Der trauernde und über zehn Jahre jüngere nicht-jüdische Ehemann und laut Testament bald reicher Witwer, möchte natürlich, daß seine religiöse Frau nach jüdischem Ritus schnell beigesetzt wird. Doch Rabbi Silberbaum ist überzeugt, daß es Mord war. Die Dame hatte ihm vor kurzem noch mitgeteilt, daß sie ihr Testament ändern, ihren Mann verlassen und zu ihrer Tochter nach Israel ziehen wolle. Sie sei sich sicher, er würde sie mit einer Schickse, die auch noch ihre Vermögensverwalterin sei, betrügen und hätte sie sowieso überhaupt nur ihres Vermögens wegen geheiratet. 

Alle Indizien deuten auf einen natürlichen Tod hin, nur dem geschulten Auge des Rabbis fällt etwas auf: ein zerbrochener Teller, den die Frau bei ihrer Herzattacke umgestoßen haben soll, und eine Banane am falschen Ort. Die Tochter der Verstorbenen reist aus Israel an und unterstützt als einzige von Anfang den Rabbi. 

Bevor er seine Ermittlungen aufnehmen kann, braucht er, wie es sich im Krimi gehört, einen Partner. Diesen findet er in dem Kommissar Robert Berking, der ihn nachts auf dem jüdischen Friedhof festnimmt. Dort war Silberbaum mit einer Urne und einer hübschen Kollegin unterwegs, die zum Judentum konvertieren möchte, obwohl sie eine jüdische Mutter hat.

Es benötigt ein wenig Zeit und Überzeugungsarbeit, bis das gegensätzliche Team zusammenfindet. Denn Berking ist das Gegenteil des Rabbi: mißtrauisch, brummig und mürrisch. Und nicht nur der Kommissar legt ihm bei seinen Ermittlungen Steine in den Weg. Der Gemeindevorsitzende droht ihm mehrfach mit der Kündigung, aus Angst, Silberbaum könnte das Ansehen ruinieren. Wäre nicht das erste Mal, denn gleich zu Beginn erleben wir den Rabbi beim Wetten auf der Pferderennbahn. Noch ehe sich das ungleiche Duo versieht, ist es bereits dabei, ein mörderisches Komplott aufzudecken. Auf dem Weg, den oder die Täter zur Strecke zu bringen, geht der Rabbi buchstäblich baden, nimmt es selbst mit dem Gesetz, sowohl dem weltlichen als auch dem jüdischen, nicht immer so genau und findet nebenbei noch für einen Hund ein neues Zuhause. Ganz zur Begeisterung seiner Mutter.

Auf die Fortsetzung dieser Krimireihe, den zweiten Band mit dem Titel: „Du sollst nicht begehren“, dürfen sich Liebhaber des Genres freuen. 

Michel Bergmann: Der Rabbi und der Kommissar: Du sollst nicht morden. Kriminalroman. Heyne, München 2021, kartoniert, 288 Seiten, 11 Euro