© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/22 / 14. Januar 2022

Nicht alle Altlasten beseitigt
Vor dreißig Jahren trat der deutsch-polnische Vertrag in Kraft. Im Zentrum stand die Lösung der Grenzfrage
Bruno Burchhart

Ein für die Zukunft Europas bedeutsames Ereignis erfolgte durch das Inkrafttreten des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages am 16. Januar 1992. Nach der im Elysee-Vertrag von 1963 und der „Aussöhnung“ zwischen der Bundesrepublik Deutschland im Westen mit dem Erbfeind Frankreich ist in den schwierigen Beziehungen zum östlichen Nachbarn Polen dadurch auch eine für die Zukunft bedeutende Regelung geschaffen worden.

Durch die europäische Mittellage des deutschen Volkes gab es nicht nur im Westen, sondern auch im Osten unzählige kriegerische Auseinandersetzungen. Von dem Einsetzen des Erzbistums Gnesen im Jahre 1000 durch den römisch-deutschen Kaiser Otto III. über die Auseinandersetzungen mit dem Deutschen Orden mit Höhepunkt der Schlacht bei Tannenberg 1410 sowie den zahlreichen Auseinandersetzungen mit den Piasten- oder Jagiellonen-Fürsten bis zu den polnischen Teilungen im 18. Jahrhundert reichen Zwistigkeiten. Diese gipfelten dann im 20. Jahrhundert mit der Wiedererrichtung eines polnischen Staates nach dem Ersten Weltkrieg und den Grenzauseinandersetzungen in der Zwischenkriegszeit, der Vertreibung der Deutschen aus Ostdeutschland nach 1945, der Übergabe dieser Gebiete der sowjetrussischen Militärbesetzung an Polen „zur Verwaltung“ und in den Kontroversen um die Oder-Neiße-Linie in der Folgezeit.  

Zwischen den kommunistischen Staaten Polen und der DDR wurde in Görlitz 1950 ein Grenzvertrag geschlossen, die Bundesrepublik wollte Grenzfragen jedoch erst nach der Wiedervereinigung behandeln. Die Problematik bestand in der Vertreibung von Millionen Deutschen aus diesen Gebieten und der Zwangsansiedlung der Polen aus deren ehemaligen Ostgebieten (heute Ukraine und Weißrußland) dorthin. Bis heute ist diese Altlast keineswegs vom Tisch, wie sich zuletzt bei der Errichtung eines „Vertreibungs-Museums“ in Berlin wieder zeigte.

Nach Mauer- und Kommunismus-Fall und des durch nach dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag von 1990  entstandenen gesamtdeutschen Staates mußte die Grenzfrage zu Polen und das Verhältnis zu diesem nachhaltig gelöst werden. Nach zähen Verhandlungen unterzeichneten Bundeskanzler Helmuth Kohl und der polnische Ministerpräsident Jan Krzystof Bielecki am 17. Juni 1991 den „Vertrag zwischen Deutschland und Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“.

Nach dem Grenzvertrag der beiden Staaten von 1990 sollte dieser Vertrag die Zukunft der beiden Nachbarn in einer „neuen Ordnung des Friedens“ regeln, der Stabilität und der Zusammenarbeit in Europa, wie beide Seiten betonten. In 38 Artikeln werden Punkte zur politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit abgehandelt, ebenso das Bekenntnis zur europäischen Einheit auf der Grundlage der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Zudem wurde festgehalten, die wirtschaftlichen Beziehungen auszubauen, ebenso beim Umweltschutz, der Agrarpolitik, der Rüstungskontrolle und bei kulturellen Angelegenheiten, sowohl auf regionaler als auch kommunaler Ebene. Wichtig erschienen daneben auch das regelmäßige Treffen der Regierungsmitglieder und der Jugendaustausch, wie es auch im Elysee-Vertrag behandelt wird.  

Ein sehr wesentliches Thema war die später – auch durch die Kopenhagener EU-Kriterien von 1993 geforderte – wechselseitige Anerkennung der Rechte ihrer (autochthonen!) deutschen Minderheit in Polen und der polnischen in der Bundesrepublik in bezug auf die Ausübung von deren ethnischer, kultureller, sprachlicher und religiöser Identität.

Zweifellos ist der Nachbarschaftsvertrag ein ganz wesentlicher Garant gutnachbarlicher Beziehungen in Europa. Stellt er doch einen wichtigen Baustein dar, daß der bundesdeutsche Staat jetzt mit seinen westlichen und östlichen Nachbarn geordnete Verhältnisse hergestellt hat. 

Chauvinistische Behandlung der deutschen Minderheit

Weiter verbessert wurde das sicherlich auch durch den Nato-Beitritt Polens 1999 und vor allem durch den Beitritt Polens 2004 zur Europäischen Union, wodurch sich auch auf diesen Ebenen ein weiterer Ausbau der Beziehungen ergeben hat. Diese Entwicklung nach 1991 ist zwar beachtlich, zeigt aber immer wieder Friktionen auf beiden Seiten. Die regelmäßigen Regierungskonsultationen finden statt, der Ausbau der kommunalen Partnerschaften mit über 700 Vereinbarungen zeigt ein beachtliches Niveau, der Austausch von Jugend-Organisationen, regionaler Zusammenarbeit der jeweiligen Grenz-Länder in der „Oder-Partnerschaft“ und der Kulturaustausch ist bemerkenswert. 

Aufgrund anderer politischer Ansichten der Regierungen, aufgrund völlig verschiedener Konzeptionen in der Energiepolitik, bei Migration und in EU-Rechtsfragen, allerdings auch wegen der polnischen Reparationsforderungen kam es immer wieder zu teils heftigen Auseinandersetzungen. Das wird vermutlich auch in Zukunft Bestand haben.

Ein unangenehmes Dauerstreitthema ist jedoch die chauvinistische Behandlung der deutschen Minderheit, vorzugsweise in Oberschlesien. Dieser ist nach 1991 mit viel Mühe der Aufbau ihrer eigenen Organisation, des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften (VdG) in Polen, gelungen. Mit dem 30-Jahr-Jubiläum hat die VdG mit ihren vielen Untergruppierungen in Schlesien, aber auch in Pommern, Ermland oder Masuren Gestaltungswillen bewiesen. Nach wie vor gibt es jedoch polnische Restriktionen des Schulwesens, der Muttersprachen-Vermittlung, bei den Ortstafeln und den politischen Vertretungen. 

Foto: Helmut Kohl und Jan Bielecki (l.) unterzeichnen im Juni 1991 den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag: Nach zähen Verhandlungen