© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/22 / 14. Januar 2022

Niemand wurde jemals zur Verantwortung gezogen
Bei der Rückeroberung der Hafenstadt Feodosija offenbarten sich Kriegsverbrechen der Roten Armee an zurückgebliebenen deutschen Lazarettinsassen
Thomas Schäfer

Am 7. Dezember 1941 befahl das Hauptquartier des Obersten Befehlshabers der Roten Armee die Einnahme der östlichen Krim-Halbinsel Kertsch, welche sich seit drei Wochen in deutscher Hand befand. Anschließend sollte von hier aus die gesamte Krim zurückerobert und die belagerte Festung Sewastopol entsetzt werden. Die daraufhin gestartete Kertsch-Feodosijaer Operation war das größte amphibische Unternehmen der Sowjetunion im gesamten Zweiten Weltkrieg und begann am 26. Dezember 1941 mit der Anlandung von Teilen der 51. Armee an der Nordostküste der Halbinsel. Ab dem 29. Dezember folgten weitere 22.000 Angehörige der von Generalmajor Alexej Perwuschin kommandierten 44. Armee. Diese gingen unter dem Feuerschutz von Einheiten der Schwarzmeerflotte bei Feodosija von Bord und nahmen die Hafenstadt bis zum 31. Dezember vollständig ein.

Schon im Verlaufe der Kämpfe, die letztlich zum Rückzug der 46. Infanterie-Division der Wehrmacht unter Generalleutnant Kurt Himer führten, hatten deutsche Soldaten beobachtet, wie Angehörige der 63. und 157. Schützendivision der Roten Armee Menschen aus den Fenstern des Feldlazaretts in Feodosija warfen. Später trafen dann Meldungen ein, daß es sich hierbei um zurückgelassene eigene Leute handele, woraufhin das Armeeoberkommando 11 am 14. Januar 1942 folgenden Tagesbefehl herausgab: „In Feodosija wurden alle Verletzten und Kranken bis auf einige nicht transportfähige Schwerverwundete geborgen. Bei diesen blieben in höchstem Opfermut ein Assistenzarzt und sechs Soldaten der H. San. Kp. B (mot) 715 zurück. Mit ihrem Heldentod ist zu rechnen.“

Vier Tage später gelang es dem Infanterie-Regiment 105 der 11. Armee unter Oberst Friedrich-Wilhelm Müller, die sowjetischen Truppen wieder aus Feodosija herauszudrängen, wobei deren 44. Armee erhebliche Verluste in Höhe von 17.300 Mann erlitt. Anschließend bestätigten sich die Befürchtungen des Armeeoberkommandos: Sowohl in dem Lazarett selbst als auch am nahen Ufer des Schwarzen Meeres fanden die Landser überall Leichen ihrer Kameraden – insgesamt etwa 160 an der Zahl, wie aus den Akten der Wehrmacht-Untersuchungsstelle hervorgeht. Diese Einrichtung des Oberkommandos der Wehrmacht, deren Aufgabe darin bestand, systematisch Material über feindliche Kriegsrechtsverletzungen zu sammeln, entsandte sieben Untersuchungsrichter auf die Krim.

Die Juristen vernahmen dort mehrere Augenzeugen, darunter den russischen Zivilarzt Dimitrijew sowie den ortsansässigen Krankenpfleger Assan Kalafatow. Deren Schilderungen zufolge waren Angehörige der Roten Armee im betrunkenen Zustand in das Lazarett gestürmt und hatten die dort liegenden deutschen Schwerverwundeten erschossen, erschlagen oder zu Tode gestürzt. In manchen Fällen schleppten Stalins Soldaten ihre Opfer auch an den Strand und legten sie bei frostigen Temperaturen in die Brandung, was zum Tod durch Erfrieren führte. Vom Wüten der sowjetischen Truppen in Feodosija künden neben den unter Eid gemachten Zeugenaussagen die Aufnahmen eines deutschen Kriegsberichterstatters, welche etliche der grausam zugerichteten und vom Eis eingeschlossenen Leichen zeigen.

Als Vergeltungsmaßnahme wurden später einige niederrangige Tatbeteiligte unter den gefangengenommenen Rotarmisten erschossen. Eine Untersuchung des Massakers von Feodosija und die Bestrafung der verantwortlichen Kommandeure durch die sowjetische Seite fand hingegen niemals statt.