© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/22 / 14. Januar 2022

Weltfrieden durch Klimawandel
Chinas Volksarmee muß die Nation bald vor hausgemachten Umweltkatastrophen schützen
Christoph Keller

Noch sind die USA China militärisch klar überlegen, der Wehretat Washingtons ist mit 778 Milliarden Dollar (2020) mehr als dreimal so groß wie der Pekings. Doch das ändere sich, wenn das KP-Regime weiterhin bei der technologischen Aufrüstung aufs Tempo drücke. 2035, so malte Joe Bidens Verteidigungsminister Lloyd Austin vor dem Streitkräfteausschuß des Senats den Teufel an die Wand, habe China sein erklärtes Ziel der Truppenmodernisierung erreicht. 2049, dem 100. Jahrestag der Proklamierung der Volksrepublik, verfüge das Reich der Mitte wieder über ein „Weltklasse-Militär“.

Natürlich, so führt der Politologe Michael Klare (Hampshire College Amherst) aus, sollen solche Szenarien zur „chinesischen Bedrohung“ die Budgetwünsche des Pentagon untermauern (Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/21). Aber es gibt noch einen wichtigeren Grund, ihnen zu mißtrauen. Denn die Zahlen würden nur bis zum imaginierten Moment „hochgerechnet“, an dem Peking Washington überholen könnte. Unberücksichtigt bleibe, welche Auswirkungen der Klimawandel auf Chinas Sicherheit haben werde. Diesen Schwachpunkt weisen übrigens die Weißbücher beider Weltmächte auf: Weder Chinas Defense White Paper (2019) noch dessen Washingtoner Pendant (2018) nehmen den Klimawandel als Bedrohung für die nationale Sicherheit wahr.

Obwohl beide nach Klares apokalyptischer Einschätzung gut beraten wären, dies zu tun. Vor allem China habe im vergangenen Sommer einen Vorgeschmack darauf erlebt, was „Klimanotstand“ gerade für seine Volksbefreiungsarmee (PLA) bedeute. Wegen der fast gleichzeitigen Flutkatastrophe im Ahrtal in deutschen Medien wenig beachtet, wurde zwischen dem 20. und 22. Juli Zheng­zhou, die 12,6-Millionen-Einwohner-Metropole der Zentralprovinz Henan, mit Regenmassen zugeschüttet, die einst die normale Menge eines ganzen Jahres waren. Mit 300 Toten, dem Kollaps der lokalen Infrastruktur, großflächigen Zerstörungen an Brücken, Straßen und Tunneln sowie mit 1,05 Millionen Hektar überschwemmten Ackerlandes eröffnete dieses extreme „Wetterereignis“ für den US-Professor einen ungemütlichen „Ausblick auf Chinas Zukunft“. Das gelte insbesondere für die neue Rolle der PLA, die, vom Partei- und Staatschef Xi Jinping persönlich mobilisiert, mit 46.000 Soldaten Katastrophenhilfe leistete. Darunter befanden sich sogar Soldaten, die für Chinas atomare Interkontinentalraketen zuständig sind.

Dammbrüche, Hochwasser und lange anhaltende Hitzewellen

Die Überflutung von Zhengzhou ist für Klare ein untrüglicher Vorbote dessen, was auf den mit 31 Prozent weltgrößten Emittenten von Treib­hausgasen zukommt. Darum widme der neue Bericht des Weltklimarates IPCC auch den „besorgniserregenden Befunden zu Chinas ausgeprägten Klimarisiken“ viel Platz („Climate Change 2021 – the Physical Science Basis“). Der Anstieg des Meeresspiegels etwa vollzieht sich an Chinas Pazifikküste schneller als im globalen Durchschnitt. Dort nehme zudem die Anzahl zerstörerischer Taifune zu. Ebenso komme es häufiger zu heftigen Niederschlägen wie in Zhengzhou, zu Dammbrüchen, Überschwemmungen großer Küstenareale. Während Nord- und Westchina extreme, lange anhaltende Hitzewellen und ausgedehnte ürren bevorstünden. Hier wie dort geht der Bericht von der hohen Wahrscheinlichkeit großer Hungersnöte infolge massiver Ernteausfälle aus, von sozialen Unruhen, ökonomischen Verwerfungen, unkontrollierten Wanderbewegungen und kriegsähnlichen Konflikten zwischen einzelnen Regionen.

Angesichts einer in derart düstere Farben getauchten Zukunft dürfte die PLA weniger damit beschäftigt sein, das Wettrüsten mit den gleichfalls von der Erderwärmung betroffenen USA zu gewinnen. Stattdessen müsse sie in den nächsten drei Jahrzehnten alle Kräfte darauf konzentrieren, die 1,4-Milliarden-Einwohner-Nation vor Fluten, Hungersnöten, Waldbränden, Sandstürmen und dem vordringenden Pazifik zu verteidigen. Das seien Aufgaben für das Militär, die im internationalen Trend lägen. Streitkräfte und paramilitärische Einheiten zahlreicher Länder sind im Katastropheneinsatz, die Bundeswehr im Ahrtal genauso wie die US-Nationalgarde in kalifornischen Waldbrandgebieten. Setze sich diese Entwicklung fort, sieht Klare bald seinen „Traum“ in Erfüllung gehen: Chinesische und US-Militärs rüsten ab und investieren fortan in Energie-, Transport- und Materialtechnologien, um gemeinsam die Erderwärmung zu bekämpfen. Kurz: Weltfrieden durch Klimawandel.

„Climate Change 2021 – the Physical Science Basis“: ipcc.ch

Foto: Überschwemmung in Zhengzhou 2021: Künftig noch mehr extreme Wetterereignisse