© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/22 / 14. Januar 2022

„An den falschen Stellschrauben gedreht“
Gegen die Auswirkungen der wachsenden Stadtbevölkerungen im globalen Süden hilft kein Green New Deal
Dieter Menke

Voriges Jahr lebten weltweit schon 4,5 der insgesamt 7,9 Milliarden Menschen in Städten. Und die Zunahme der Stadtbevölkerung bis 2050 wird von UN-Statistikern mit 2,3 Milliarden veranschlagt. Davon entfallen 145 Millionen auf Lateinamerika, 900 Millionen auf Afrika und 1,1 Milliarden auf Asien. Schon bis 2030 stehen die höchsten Urbanisierungsraten in Aussicht. Europa hat daran nur einen verschwindend geringen Anteil. Um knapp acht Prozent, von derzeit 555 auf 597 Millionen, nimmt die Zahl der Städter des alten Kontinents bis 2050 zu. In der Demokratischen Republik Kongo wird sie sich hingegen von 41 auf 126 Millionen Menschen mehr als verdreifachen. Kein Zufall: Unter den zehn Staaten mit der höchsten Urbanisierungsrate sind acht afrikanische.

Den wesentlichen quantitativen Unterschied zur Urbanisierung Europas und Nordamerikas, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts begann, sehen Carsten Butsch und seine Kollegen vom Geographischen Institut der Uni Köln in der höheren Prozeßgeschwindigkeit (Geographische Rundschau, 10/21). So brauchte die Steigerung des Städteranteils in England und Wales von 20 auf 60 Prozent 90 Jahre. China benötigte für diesen Sprung hingegen nur 60 Jahre. Im Vielvölkerstaaat Nigeria (von 107 auf 287) oder in der islamischen Volksrepublik Bangladesch (von 65 auf 118) geht es sogar binnen 30 Jahren noch schneller.

„Informelle Siedlungen“ für die Ärmsten der Armen

Auch der Anteil der Menschen, die in Megastädten leben, wächst rapide. Noch 1950 gab es weltweit nur zwei Städte – New York und Tokio – mit mehr als zehn Millionen Einwohnern. Heute sind es 34, für 2030 werden 43 prognostiziert. Und neu im Vergleich mit der Urbanisierung um 1900 ist auch das Ausmaß der Verelendung der Zugezogenen. Eine Milliarde Menschen leben nach UN-Bericht Habitat 2020 in „informellen Siedlungen“, wie die nicht allein von den Ärmsten der Armen bewohnten Elendsquartiere schönfärberisch heißen.

An diesen urbanen Peripherien zeigen sich den Kölner Stadtgeographen zuerst die zu erwartenden „Umweltveränderungen planetarischen Ausmaßes“. Bis 2050 wird sich die städtische Siedlungsfläche von 0,3 Millionen Quadratkilometern (2000) auf 1,3 Millionen vervierfacht haben. Ein großer Teil dieses städtischen Wachstums trifft sensible Ökosysteme, da Städte ein Vielfaches ihrer eigenen Fläche benötigen, um auch nur die Nahrungs- und Trinkwasserbedürfnisse ihrer Bewohner zu befriedigen. Gewaltige zusätzliche ökologische Belastungen verursachen Ausbau und Modernisierung der Wohn- und Verkehrs-Infrastruktur. Im Globalen Süden dürfte die Produktion von Zement, Stahl und Aluminium daher in den nächsten drei Jahrzehnten bis zu 350 Gigatonnen CO2 freisetzen, was allen proklamierten „Klimazielen“ hohnspricht.

Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW):

 www.dsw.org

 geographie.uni-koeln.de