© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

Koalition für Einwanderung
Starker Anstieg der Asylanträge: Die Ampel hat nichts Eiligeres zu tun, als neue Willkommenssignale zu senden
Michael Paulwitz

Der Migrantenansturm auf die europäischen Wohlfahrtsstaaten nimmt einen neuen Anlauf – nicht nur an der polnisch-weißrussischen Grenze. Als hätte es den kurzen Einbruch durch die Corona-Einschränkungen nie gegeben, hat die Zahl der in Deutschland gestellten Asylanträge im vergangenen Jahr mit 191.000 wieder fast das Niveau von 2017 erreicht.

Ebenso verzeichnet die EU-Grenzschutzagentur Frontex mit rund 200.000 illegalen Grenzübertritten für 2021 einen ähnlich hohen Stand wie vier Jahre zuvor. Und wieder hat die deutsche Bundesregierung, diesmal unter rot-grün-gelben Vorzeichen, nichts Eiligeres zu tun, als neue Willkommenssignale auszusenden und jenen europäischen Partnern in den Rücken zu fallen, denen es mit der Sicherung der EU-Außengrenzen noch ernst ist.

Anders läßt sich der Vorstoß von Bundesinnenministerin Nancy Faeser kaum deuten, eine „Koalition der Willigen“ innerhalb der EU zu schmieden. Nach den Vorstellungen der SPD-Ressortchefin sollen einzelne „aufnahmebereite“ Mitgliedstaaten bei der Umverteilung von Migranten vorangehen, um ein europäisches Asylsystem vorwegzunehmen.

Der Vorschlag ist in jeder Hinsicht kontraproduktiv und trägt den Spaltpilz nicht nur tiefer ins eigene Land, sondern in die gesamte EU. Schon die Begründung, man schulde den Erstaufnahmeländern an den EU-Außengrenzen Entlastung, ist schief. Seit einem Jahrzehnt ist Deutschland durchgängig das Hauptzielland, das in der EU die meisten Asylanträge entgegennimmt, zuletzt dreimal mehr als das vermeintlich so solidaritätsbedürftige Italien.

Von dort, wie von den meisten Erstaufnahmeländern, zieht es das Gros der Neuankömmlinge ohnehin weiter ins Sozialleistungsparadies Deutschland. Jeder zweite Asylbewerber, der nach Deutschland einreist, hat im Erstaufnahmeland gar keinen Asylantrag gestellt und ist in der EU-Datenbank überhaupt nicht erfaßt. Rücküberstellungen nach dem Dublin-Abkommen finden seit Jahren kaum noch statt, und wenn doch, sind die Zurückgeschickten nicht selten schon nach kurzer Zeit für den nächsten Antrag wieder in Deutschland.

Selbst wenn die Bundesinnenministerin „Willige“ fände, die bereit wären, freiwillig mehr Migranten aufzunehmen, wären diese über kurz oder lang auch wieder in Deutschland; Faeser könnte ihren Vorschlag also gleich mit „Deutschland nimmt alle auf“ betiteln. Eine gemeinsame europäische Asylregelung, die auch begrenzende und restriktive Elemente enthalten müßte, wird dadurch nicht vorangebracht, sondern obsolet gemacht.

Für die ost- und nordeuropäischen Staaten, die nicht bereit sind, einer Verteilung von Migranten nach Quoten zuzustimmen, und die wie Polen oder Ungarn beträchtliche Ressourcen investieren, um ihre Grenzen zu sichern, stellt Faesers Initiative dagegen einen doppelten Affront dar: Sie konterkariert nicht nur ihre Bemühungen, sondern will ihnen auch noch zumuten, für die Nichtaufnahme von Migrantenkontingenten Sonderabgaben zu entrichten.

Die Kritik aus den Unionsparteien an Faesers Plänen ist freilich oberflächlich und heuchlerisch. Die Bundesinnenministerin knüpft schließlich nahtlos an die Merkelsche „Willkommenspolitik“ an, deren Alleingänge und Eigenmächtigkeiten die Briten aus der EU getrieben haben und Deutschland und Europa bis heute nicht zur Ruhe kommen lassen. Die Fortsetzung der unbewältigten deutschen Geisterfahrt erscheint heute um so grotesker, als die Zahl der Europäer, die sich ihr verweigern und entgegenstellen, noch größer geworden ist.

Was die SPD-Ministerin will, ist allerdings kein Ausrutscher und auch keine dem Mangel an Erfahrung geschuldete Unüberlegtheit. Faeser verfolgt eine Agenda. Dafür spricht schon der prompte Beifall, den sie für ihren Vorschlag vom Vorsitzenden des Europa-Ausschusses im Deutschen Bundestag, dem Grünen Anton Hofreiter, erhielt. Es ist auch nicht der erste Vorstoß Faesers zur Aufweichung der Einwanderungshürden nach Deutschland.

Anfang Januar hatte sie eine Senkung der Asyl-Hürden für Afghanen angekündigt: Sie will ihnen, entgegen den Fakten, pauschal eine „gute Bleibeperspektive“ bescheinigen, damit sie frühzeitig in staatliche „Integrations“-Maßnahmen einbezogen werden können. Und bereits in ihren ersten Tagen im Amt hatte Faeser die polnische Zurückweisungspolitik deutlich kritisiert und eingefordert, daß „humanitäre Helfer“ ungehinderten Zugang zu den vorwiegend aus dem Nordirak stammenden Migranten an der polnisch-weißrussischen Grenze erhalten sollten.

Dahinter wird eine abgestimmte Kampagne sichtbar, die alle Register zieht, um die polnische Regierung zu diskreditieren, die erfolgreich den Beweis antritt, daß eine effektive Abschottung gegen illegale Migration sehr wohl möglich ist. Die EU-Kommission lockt und bedrängt Polen, den über die Weißrußland-Route andrängenden Migranten Asylverfahren zu ermöglichen. Die Asyllobby der sogenannten Nichtregierungsorganisationen drängt ins Grenzgebiet, um auch dort ihrer humanitär getarnten Schleusertätigkeit nachgehen zu können.

Deutsche und europäische Linkspolitiker machen ihren Einfluß geltend, um ihnen die Türen zu öffnen. Deutschlands öffentlich-rechtliche Sender leisten propagandistische Schützenhilfe mit einseitigen und emotionalisierenden Reportagen, die statt aggressiver junger Männer vorwiegend hilflose Frauen und Kinder entdecken und die vermeintliche Herzlosigkeit der polnischen Sicherheitskräfte anprangern.

Alle zusammen versuchen den irrigen Eindruck zu erwecken, bei der Zurückweisung illegaler Grenzverletzer handele es sich um einen Verstoß gegen EU-Recht und „europäische Werte“. Passend dazu prangert die „Sprachkritische Aktion“ als weiterer Lobby-Akteur den Anglizismus „Pushback“ als „Unwort des Jahres“ an und liefert ein weiteres Stichwort, um das souveräne Recht der Staaten auf Kontrolle von Grenzen und Migration weiter zu diskreditieren.

Deutschlands Regierungspolitiker, voran die Bundesinnenministerin, verstehen sich offenkundig nicht als Wahrer von Recht, Gesetz und nationalen Interessen, sondern als Teil einer Lobby für grenzenlose und unbeschränkte Migration. Ein gefährliches Spiel: Die Einladung, die damit ausgesprochen wird, richtet sich potentiell an Milliarden. Setzt sich auch nur ein Bruchteil davon in Bewegung, stehen innere Sicherheit, soziale Sicherungssysteme und der gesellschaftliche Zusammenhalt vor dem Zusammenbruch. Es wäre nicht der erste Fall, daß ein einst leidlich funktionierendes Gemeinwesen an verblendeter Ideologiepolitik zugrunde geht.