© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

Corona-Proteste
Tolerant gespalten
Dieter Stein

Die Corona-Demonstrationen halten Deutschland weiter in Atem. Politik und Medien sind ratlos, wie sie mit den massenhaften dezentralen Protesten umgehen sollen. Inzwischen wächst auch die Zahl derer, die zur Verteidigung der Corona-Politik auf die Straße gehen. Vergangenen Samstag zogen in meiner früheren Heimatstadt Freiburg im Breisgau 6.000 Corona-Kritiker um den Altstadtring und dann 2.500 ins Zentrum, die gegen Corona-Kritiker und für Impfen demonstrierten.

Im Meinungsstreit hat es sich schon seit einer Weile eingebürgert, jeweilige Kritiker als „Spalter“ abzutun. Gegner der Impfpflicht „spalteten“ die Gesellschaft, wie es zuvor auch schon Kritiker der Einwanderung oder der Eurorettung getan haben.

In einem Atemzug behaupten Kritiker der Kritiker, sie selbst seien Vertreter der „Offenheit und Toleranz“– um dann politische Gegner seelenruhig pauschal aus dem Kreis der „Demokraten“ auszugemeinden und Hunderttausende aus unterschiedlichen politischen Milieus, die derzeit auf die Straße gehen, in eine Schublade mit „Antisemiten und Rechtsextremisten“ zu stecken. 

Demokratie heißt, Kritik und gegensätzliche Positionen souverän auszuhalten, Streit sogar zu kultivieren. 

Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang verschärft den Ton, wenn er mit Blick auf die Corona-Proteste in der FAZ eine neue Kategorie von „Staatsfeinden“ jenseits des Rechts- und Linksextremismus einführt: Eine „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ sei hier am Werk. Jenseits eines harten Kerns gewaltbereiter Extremisten, der in diesen Protesten mitschwimmt, wird damit die große Breite des legitimen Unmutes weder erfaßt noch einfach erledigt. Die neue Lust an exekutiven Maßnahmen steigert sich schließlich in den grotesken Phantasien des Ex-Ostbeauftragten Marco Wanderwitz (CDU), der vergangene Woche gleich die Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die AfD forderte. 

In Hamburg wurden vergangenen Samstag Demonstrationen von Corona-Kritikern wegen erwarteter Nichteinhaltung von Auflagen verboten, die Demos der Kritiker der Kritiker erlaubt. Hier sah man dann „tolerante“ Demokraten Seite an Seite mit dem vermummten schwarzen Block der linksextremen Antifa marschieren, im Bengalofeuer unter dem Banner „Solidarisch und vermummt gegen Nazis, Kapital und Coronaleugner*innen“. Von Einwänden des Verfassungsschutzes und der „Zivilgesellschaft“ haben wir nichts gehört.

Demokratie heißt, Kritik und gegensätzliche Positionen souverän auszuhalten, konstruktiven Streit sogar zu kultivieren und nicht permanent die Soße des Konsenses über alles zu gießen. Der Versuch, politisch legitimen Streit durch Verbote und Diffamierungen von vornherein zu unterbinden, wird sich übrigens als kontraproduktiv im Sinne just der Demokratie herausstellen.