© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

Die Fritz-Box
CDU: Merz’ Wahl zum Vorsitzenden ist sicher – aber nicht, was genau er danach in der Partei vorhat
Christian Vollradt

Wieder mal ist Digital-Parteitag bei der CDU. Und zum dritten Mal seit 2018 muß ein neuer Bundesvorstand gewählt werden. Die wichtigste Personalie ist zugleich die unspannendste: Friedrich Merz wird Vorsitzender. Denn die 1.001 Delegierten müssen bei ihrer Zusammenkunft im virtuellen Raum nur noch formal bestätigen, was die Mitgliederbefragung gleich im ersten Wahlgang ergeben hatte. So jedenfalls das verabredete Verfahren. 

Der Erwartungsdruck ist groß, die Rolle des Hoffnungsträgers kann auch eine Bürde sein. Seine Fans wie auch die innerparteilichen Gegner erwarten von Merz, daß er liefert. Ein längerfristiger Abschied von der Macht bedeutet den weiteren Verlust von Ämtern, Posten und Mandaten, mithin auch schlicht von Jobs und Geld. Vier Landtagswahlen finden dieses Jahr statt. Im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen stellt die CDU die Ministerpräsidenten. In Niedersachsen ist sie Juniorpartner einer Großen Koalition. Es steht also einiges auf dem Spiel – und derzeit sieht es in den Umfragen nicht gerade rosig aus. Geht die Union baden, fällt das auch auf Merz zurück – zumal in seiner Heimat NRW. Auswirkungen hätte ein Machtverlust auch auf die Mehr­heits­ver­hält­nis­se im Bundes­rat, wo CDU und CSU derzeit bei 48 von 69 Länder-Stim­men mitre­den können.

Greift Merz auch  nach dem Fraktionsvorsitz?

Daß die Union sich noch nicht ganz in der Oppositionsrolle eingerichtet hat, merkt man. Zwar klopfen einige ihrer Abgeordneten im Bundestag ordentlich auf den Busch und halten der Ampelkoalition eine zu laxe Einwanderungspolitik vor oder versuchen die FDP in Fragen der Finanzpolitik zu stellen. Doch konnte man sich besipielsweise nicht dazu aufraffen, einen Alternativkandidaten für das Amt des Bundespräsidenten zu nominieren. Statt dessen hievt man Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier in die zweite Runde. Allerdings ist der Einwand berechtigt, CDU und CSU hätten bereits zu Regierungszeiten mit Ideenlosigkeit geglänzt. Schließlich war der letzte bisher von ihnen präsentierte Kandidat Christian Wulff – vor über zehn Jahren.

Mit mehr Spannung erwartet wird die Besetzung der weiteren Posten in Vorstand und Präsidium der Partei. Als relativ sicher gilt, daß die Stellvertretende Bundesvorsitzende Silvia Breher aus Niedersachsen wiedergewählt wird. Als Vertreterin des prononciert liberalen Flügels tritt Schleswig-Holsteins Kultusministerin Karin Prien an. Wenig Chancen, gewählt zu werden, hat die ehemalige Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel vom konservativen „Berliner Kreis“. Auf der Kandidatenliste sind auch ehemalige Mitglieder aus dem „Kompetenzteam“ des gescheiterten Kanzlerkandidaten Armin Laschet. Wiebke Winter etwa aus Bremen („Klima-Union“) oder der Berliner Musikmanager Joe Chialo. Auch die frühere nordrhein-westfälische Integrationsstaatssekretärin Serap Güler, die Merz’ unterlegener Konkurrent Helge Braun zur Generalsekretärin machen wollte, tritt für einen Posten im Bundesvorstand an. Eng könnte es für eine frühere Gefolgsfrau Angela Merkels werden: Die Vorsitzende der Frauen-Union, Annette Widmann-Mauz, droht laut Medienberichten bei der Kandidatur für das Parteipräsidium zu scheitern. Denn Konkurrenz kommt aus ihrem eigenen Landesverband Baden-Württemberg in Person von Ronja Kemmer, die auf Wunsch der Jungen Union in die Parteispitze soll. 

Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Vorsitzenden sollen Umbauarbeiten beim Personal des Konrad-Adenauer-Hauses sein. Informationen des Handelsblatts zufolge sollen Abteilungs- und Bereichsleiter „Platz für frische Köpfe machen“. Merz will die von ihm leicht verächtlich als regierungstreue „Eventagentur“ bezeichnete Parteizentrale in Berlin-Tiergarten in ein Kampagnenhauptquartier der Opposition verwandeln. Abteilung Attacke ... 

Beendet wird damit am Wochenende auch die Amtszeit von Generalsekretär Paul Ziemiak. Den soll nach dem Willen von Merz der Bundestagsabgeordnete und ehemalige Berliner Sozialsenator Mario Czaja beerben, der zur Zeit auch noch Chef des Berliner Roten Kreuzes ist. Neu eingeführt werden soll der Posten des stellvertretenden Generalsekretärs – allerdings aus rechtlichen Gründen erst auf dem nächsten Parteitag. Denn dafür muß erst die Satzung der Partei geändert werden. Das wiederum geht nicht auf einem Digital-Parteitag. Vorgesehen für den Posten ist die baden-württembergische Neu-Bundestagsabgeordnete Christina Stumpp, die sich künftig vorrangig um die Belange der Kommunen kümmern soll.

Eine Schlüsselrolle ist zudem für Carsten Linnemann vorgesehen, den bisherigen Vorsitzenden der Mittelstandsvereinigung, Der 44jährige wird im Fall seiner Wahl zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden die Leitung der Programm- und Grundsatzkommission übernehmen. Solche Personalien riefen wiederum Unmut in den Reihen der Sozialausschüsse (CDA) hervor. „Merz wird sich ein Stück weit von den Ultras in seiner Fankurve emanzipieren müssen, wenn er die CDU wieder auf Erfolgskurs bringen will“, ätzte CDA-Vize Dennis Radtke im Handelsblatt. Der Europaabgeordnete aus dem Ruhrgebiet mahnte an, laut Wahlanalysen habe die Union vor allem bei sozialen Fragen – Rente, Mieten, Mindestlohn – nicht überzeugt. Auf Vorschlag der CDA will Radtke als Beisitzer für den CDU-Bundesvorstand kandidieren.

Die spannendste Frage in den Augen vieler Beobachter ist eine, die der Parteitag am Wochenende gar nicht beantworten wird: die nach dem Vorsitz der Unionsfraktion im Bundestag. Deren Chef Ralph Brinkhaus hatte angekündigt, er wolle gerne weitermachen, sich Ende April der Wiederwahl stellen. Es gilt jedoch als sicher, daß Merz diesen Posten in Personalunion besetzen möchte. Aus Gründen der oppositionellen Schlagkraft. Und aus Prinzip. Schließlich hatte Angela Merkel seinerzeit ihn, Merz, vom Vorsitz der CDU/CSU im Bundestag verdrängt, um beide Ämter in der Hand zu haben. Der Coup fußte auf einer Übereinkunft mit dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef Edmund Stoiber, der Merz fallenließ. 

Daß der sich wiederum gerade zu einem medial in Szene gesetzten Vier-Augen-Gespräch mit Markus Söder in dessen bayerischer Heimat getroffen hat, bedeutet für Brinkhaus nichts Gutes. Geschichte könnte sich wiederholen.  

Foto: Der künftige Parteichef dieser Tage in Düsseldorf: „Platz für frische Köpfe machen“