© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

Mit heißer Nadel
Stasi-Gedenkstätte: Politisch unliebsame Mitglieder fliegen raus / Neue Schwerpunkte bei Erinnerung an die DDR-Diktatur
Jörg Kürschner

Darf einem prominenten AfD-Mitglied das Recht abgesprochen werden, sich in einem Gedenkstättenverein für die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur und die Erinnerung an die Opfer zu engagieren? Oder hat er dieses Recht aufgrund seiner Parteimitgliedschaft verwirkt, während reuigen Ex-SED-Größen ein Dialog auf Augenhöhe zugestanden wird. Der Antifaschismus, eine zentrale ideologische Grundlage der DDR, beherrscht zunehmend die Auseinandersetzung mit diesem Unrechtsstaat.

Der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner (AfD) aus Gera wehrt sich gegen seinen Ausschluß aus dem Verein „Gedenkstätte Amthordurchgang“, der sich seit 1997 mit der Repression der zwei deutschen Diktaturen beschäftigt. Deren sehenswerte Ausstellung befindet sich im Torhaus des inzwischen abgerissenen Gefängnisses, in dessen Zellentrakt nationalsozialistische Gestapo wie DDR-Stasi politisch Andersdenkende einsperrten und folterten. Manche kamen zu Tode.

Diesem Verein ist Brandner 2005 beigetreten, damals noch als CDU-Mitglied. Die Achtung der Menschenrechte sei für ihn „eine extrem wichtige Aufgabe“, sagt Brandner im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT und verweist auf seine Mitgliedschaft in der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, die sich früher für die politischen Gefangenen in der DDR eingesetzt hat.

Jetzt hat ihn eine spärlich besuchte Mitgliederversammlung des vom Bund und dem Land Thüringen geförderten, als gemeinnützig anerkannten Gedenkstättenvereins wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die Satzung ausgeschlossen. Nach 16 Jahren eher passiver Mitgliedschaft. Danach kann ein Mitglied ausgeschlossen werden, wenn es „rechtsextreme, linksextreme, rassistische, antisemitische oder andere menschenverachtende Haltungen …  äußert oder Mitglied oder Unterstützer*in in einer Partei oder Gruppierung ist, die diese Positionen vertritt“. Vereinschef Frank Karbstein begründet den Vorstandsbeschluß mit Brandners Parteimitgliedschaft im AfD-Landesverband Thüringen, der vom Verfassungsschutz des Freistaates als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft werde. Außerdem wolle der Verein nicht mit Brandners ständigen „provokanten Äußerungen“ in Verbindung gebracht werden. 

Als Beispiel nennt der Vereinsvorsitzende die Zuschreibung „Judaslohn“, die Brandner anläßlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den AfD-kritischen Rocksänger Udo Lindenberg gebraucht hatte. Einen Judaslohn nennt man eine Belohnung für einen Verrat. Für Karbstein bedient Brandner damit „antisemitische Ressentiments“. Wegen dieses Vorwurfs war der AfD-Politiker auch als Vorsitzender des Bundestagsrechtsausschusses abgewählt worden. Ein in der Parlamentsgeschichte bisher einmaliger Vorgang. Brandner will gegen den Ausschluß klagen. Es sei „höchst bedenklich“, daß gerade ein Verein, der das Gedenken an zwei Diktaturen aufrechterhalten solle, „in dasselbe gefährliche Denkmuster verfällt“ wie die Akteure von damals, empört sich der AfD-Politiker, der auch Stadtverordneter in der ostthüringischen Stadt ist. Auf Twitter fand er drastische Worte, sprach von einem „politischen Blutrausch im Rahmen der Mitgliederversammlung“, die seinen Rausschmiß beschlossen hat. Ob die Richter die Position des Rechtsanwalts Brandner teilen, ist offen.

„Migrantische und transnationale Sichtweise einbeziehen“

Sein (vorläufiger?) Rauswurf hat jedoch eine Vorgeschichte. Bereits im Sommer 2020 hatte der Vorstand den rund 40 Mitgliedern per Post den Entwurf einer neuen, komplett überarbeiteten Vereinssatzung mit der Maßgabe geschickt, dieser nach Diskussion in der nächsten Mitgliederversammlung zuzustimmen. Der Entwurf ist – verglichen mit der alten Satzung – eine „Lex AfD“ mit der Absicht, das ungeliebte Vereinsmitglied Brandner loszuwerden. Genügte früher die in Satzungen übliche Formulierung, wer „in erheblichem Maße gegen die Vereinsinteressen“ verstoße, sind es jetzt politische Haltungen, als erstes werden „rechtsextreme“ genannt, die zum Ausschluß führen können. 

Eine rechtlich fragwürdige Konstruktion, denn vom Rauswurf bedroht sind auch Vereinsmitglieder, die sich überhaupt nicht politisch äußern. Gehören sie aber „einer Partei oder Gruppierung“ an oder sind deren „Unterstützer*in“, müssen sie nach der neuen Satzung mit ihrem Rausschmiß rechnen. Meinungsfreiheit nein danke. Aufschlußreich ist auch eine weitere Änderung: Wenn der Vorstand einen Mitgliedsantrag ablehnt, „ist er nicht mehr verpflichtet dem Antragsteller die Gründe hierfür mitzuteilen“. Transparenz? Nein danke!

Nicht nur personell, auch inhaltlich will der Verein neue Schwerpunkte setzen. So heißt es in der „Neukonzeption für die Dauerausstellung“, „in der neugestalteten Ausstellung soll insbesondere der Nationalsozialismus umfassender dargestellt werden“. Grundsätzlich ist dagegen nichts einzuwenden, doch dürfte damit eine Marginalisierung der Untaten der zweiten deutschen Diktatur einhergehen. Nach dem Motto, die Verbrechen der SED-Diktatur hätte es ohne die Verbrechen der NS-Diktatur nie gegeben. Eine Ansicht, die in der SED-Nachfolgepartei oft zu hören ist. 

Es versteht sich von selbst, daß die Neukonzeption der Gedenkstätte in der Erfurter Landesregierung auf Zustimmung stößt. Im vergangenen Sommer besuchte Kultur-Staatssekretärin Tina Beer die Gedenkstätte. 100.000 Euro Fördermittel gab es als Belohnung „für eine inhaltliche Überarbeitung und Erweiterung der Themen zur NS-Zeit“, zeigte sich das von der Linkspartei geführte Ministerium zufrieden. Und auch Vereinschef Karbstein, zu DDR-Zeiten aus politischen Gründen inhaftiert, wurde gewürdigt. Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) hatte ihn 2019 mit Ehrenbrief und Ehrennadel bedacht, einem Verdienstorden des Landes.

In der bundesweiten Erinnerungsarbeit spielt die Geraer Gedenkstätte eine eher untergeordnete Rolle. Doch steht sie mit ihrer inhaltlichen Akzentverschiebung nicht allein. Die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen hat den Auftrag, über die politische Verfolgung in der kommunistischen Diktatur zu informieren. Das nach Kriegsende eingerichtete Gefängnis war  zunächst von den Sowjets, ab Anfang der fünfziger Jahre vom DDR-Staatssicherheitsdienst betrieben worden. Ein thematischer Schwerpunkt Nationalsozialismus verbietet sich also. Doch werden seit der Entlassung des antikommunistischen Direktors Hubertus Knabe verstärkt Migranten in die Arbeit einbezogen. Nachfolger Helge Heidemeyer schwärmte bereits kurz nach seinem Amtsantritt im Herbst 2019 von den „wunderbaren Ideen“ einer neuen Projektgruppe „Wie kann man migrantische Gruppen in unsere Gedenkstätten integrieren?“ (JF 47/20) Ganz im Sinne seines Dienstherrn, Kultursenator Klaus Lederer, rückt das DDR-Unrecht in den Hintergrund, wird relativiert. Der Linken-Politiker hatte 2018 zusammen mit Ex-Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) die Amtsenthebung seines schärfsten Kritikers ins Werk gesetzt, um einen „Kulturwandel“ in der Gedenkstätte einzuleiten. 

Hilfreich dürfte dabei auch der wissenschaftliche Beirat der Gedenkstätte sein, der nach Knabes Abgang rasch mittels Neubesetzungen auf Linie gebracht wurde. Dem Gremium gehört inzwischen auch Uta Bretschneider an, Direktorin des Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig. Anläßlich ihrer Amtseinführung im April 2020 ließ sie im hauseigenen Museumsmagazin ein Interview veröffentlichen. Unter dem Titel „Perspektivwechsel“ plädiert die Chefin des vom Bund finanzierten Forums für eine stärkere Fokussierung auf die Zeit der Transformation der DDR in das vereinigte Deutschland. Und weiter heißt es dort: „Hierbei auch migrantische und transnationale Sichtweisen einzubeziehen kann sicher so manchen neuen Blickwinkel auf unsere jüngere Geschichte ermöglichen“. Der Kreis schließt sich.

Die SED-Diktatur, die kriminellen Machenschaften der Stasi, die Todesschüsse an der Mauer lassen sich nicht leugnen. Daß auch Migranten zum Teil nur unter Lebensgefahr aus ihrer Heimat flüchten können, ist schlimme Realität. Gut 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR wird ihr Schicksal instrumentalisiert, um die Menschenrechtsverletzungen im zweiten deutschen Staat zu relativieren. 

So fügt es sich, daß das bereits 2015 vom Bundestag beschlossene Mahnmal für die Opfer des Kommunismus bisher nicht gebaut wurde. Ja, es steht noch nicht einmal ein Standort fest. Zuständig ist Berlins Kultursenator Lederer. Auf Seiten des Bundes war es Grütters, die sich nicht darum gekümmert hat. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP wird das Mahnmal mit keinem Wort erwähnt. Der Appell der neuen SED-Opferbeauftragten Evelyn Zupke von Anfang November, „zeitnah die Prüfung möglicher Standorte abzuschließen“, verhallte.