© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

Grüße aus … Bern
Überholen ist unmöglich
Frank Liebermann

Die Berner sind ein gemütliches Volk. Bekannt sind die Hauptstädter vor allem für ihre legendäre Langsamkeit. Eine andere Spezialität treibt jeden vernunftbegabten Zeitgenossen in den totalen Wahnsinn. Die Eingeborenen haben die Fähigkeit, immer und überall Wege zu blockieren! Und zwar an den dümmsten Stellen. Daher kommt heute meine Hitliste der Orte, an denen Berner am liebsten im Weg stehen. 

Auf Platz drei stehen Supermärkte. Dort bevorzugen Blockierer die engen Durchgänge zwischen den Regalen. Mit Vorliebe positionieren die Blöde-im-Weg-Steher ihre Wagen quer, während sie mit einer beliebigen anderen Person über Unwichtiges palavern. 

Ein Vorbeikommen ist nur unter der Inkaufnahme von unmenschlich weiten Umwegen möglich. Noch fieser sind diejenigen, die ihren Einkaufskorb auf dem Boden plazieren, so daß schusselige Passanten darüber stolpern. 

Den Spitzenplatz der Hitliste belegen die Rolltreppen.

Dort steht der Berner am liebsten im Weg.

Den zweiten Platz in dieser Hitliste belegen die vielen Ein- und Ausgänge. Besonders gerne werden diese im Öffentlichen Nahverkehr blockiert. So wie gestern. Zwei grauhaarige Damen mittleren Alters halten engagiert ein Schwätzchen, die Einkaufstaschen auf dem Boden stehend. Mitten im Haupteingang des Bahnhofs. Die geschäftigen Pendler müssen einen Slalom rechts und links absolvieren, um vorbeizukommen. Als ich die Treppe hinunter zu meinem Zug gehen will, versperrt mir ein Pärchen den Weg.

 Sie umarmen sich innig, geben Küßchen und trösten sich vor dem nahenden Abschied. Leider machen sie das direkt vor dem Gleisaufgang. Nach einer Ermahnung durch mich bewegen sie sich im Schneckentempo zwei Meter zur Seite. Ich verliere wertvolle Sekunden und schaffe es nur noch mit einem Sprint zur S-Bahn.

Den Spitzenplatz belegen Rolltreppen. Dort steht der Berner am liebsten im Weg. Der Regelung, „Rechts stehen, links gehen“ verweigern sich die Bewohner zum Amüsement der gesamten Schweiz schon unzählige Generationen. Die seit einigen Jahren angebrachten Plakate und eine zeitweilige Medienkampagne zum Thema konnten keine Umerziehung bewirken. Geschwind an anderen vorbeigehen funktioniert nur als Hindernislauf. Höhnische Kommentare wie „Der hets presant“ und „Der isch sicher aus Züri“  sind dann die Regel. Zum Abschluß bleiben einige auch gern am Ende der Rolltreppe stehen, um den Schirm zu suchen, das Handy zu prüfen oder um geschäftig in einer Tasche zu wühlen. 

Trotz allem haben die Berner einen Vorzug: Es ist kein Problem, sie wegen dieses Fehlverhaltens rüpelhaft anzuschnauzen. Die meisten entschuldigen sich dann sofort höchst devot.