© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

Die angekündigte Habeck-Inflation
Energiepolitik: In seiner „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“ kündigt der grüne Wirtschaftsminister unrealistische Investitionen an / Normalverdiener müssen viel zahlen
Marc Schmidt

In seiner ersten Grundsatzrede als Wirtschaftsminister erklärte Robert Habeck im Bundestag, das Mittel gegen die „Greenflation“ sei ein Ausbau der Ökoenergie. Sprich: Die „grüne Inflation“ durch den politisch eingeleiteten Atom- und Kohleausstieg, die diversen „Klimaschutzmaßnahmen“ und die steigenden Energiepreise soll durch noch mehr von all dem in Zaum gehalten werden. Dieser Offenbarungseid des grünen „Realos“ hinsichtlich wirtschaftspolitischen Gestaltungswillens und Kenntnissen über die Auswirkungen der eigenen politischen Vorschläge ist ein Angriff auf Wohlstand, Einkommen und Vermögen der Unternehmen und Verbraucher.

Diese zahlen nicht nur im europäischen Vergleich absurde Preise für Strom und Heizen (JF 3/22). Sie erleben eine tatenlose Wirtschaftspolitik, die auf alle Maßnahmen gegen die grüne Inflation verzichtet. So waren vor dem Jahreswechsel die Nahrungsmittel „nur“ um sechs Prozent teurer als im Dezember 2020, bei Haushaltsenergie und Kraftstoffen betrug die Inflation 18,3 Prozent. Dennoch soll die schon unter dem schwarz-rotem Merkel-Kabinett eingeführte „CO2-Bepreisung“ von Benzin, Diesel, Erdgas und Heizöl weiter steigen. Generell interessiert sich Habeck nur für seine selbstdefinierten „Klimaschutzziele“, andere wirtschaftspolitische Ansätze fehlen auf der bislang vorgetragenen Agenda.

Ergo plädiert der promovierte Literaturwissenschaftler für mehr Planwirtschaft und Bürokratie, wenn er Bürger Anträge auf Klimawohngeld ausfüllen lassen und den privaten Vermietern einen Anteil der Heizkostensteigerung ihrer Mieter aufzwingen will. In zahlreichen Kommunen dürfte dies zu Nachtragshaushalten bei den städtischen Gesellschaften führen, die Sozialwohnungen betreiben. Habeck jedoch ficht Kritik an den Auswirkungen seiner Pläne nicht an, diese in seinen Worten „individuellen Betroffenheiten“ erachtet er offenbar für nachrangig. Wahltaktisch liegt er damit richtig, sind die Grünen doch eine Partei der Erben und „Besserverdiener“, die sich Biokost, E-Autos, Wärmepumpen & Co. leisten können.

Diese Haltung zeigte sich auch bei seiner Pressekonferenz zur „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“. Als Vorgabe für die kommenden Jahre verkündete Habeck, daß die Ziele des Klimaschutzgesetzes bis 2030 eine Verdreifachung der bisherigen Geschwindigkeit der CO2-Emissionsminderung erfordern würden. Alle Anstrengungen und wirtschaftsfeindlichen Rahmenbedingungen haben im Schnitt die CO2-Emissionen um 15 Millionen Tonnen jährlich sinken lassen, unter Habecks Regime müßte diese Reduktion nun 41 Millionen Tonnen pro Jahr betragen – und das bei Abschaltung der letzten drei AKWs (Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2) zum Jahresende 2022, die eine „CO2-freie“ Leistung von 4.049 Megawatt (MW) haben. Das entspricht etwa 1.000 Windrädern – aber nur dann, wenn der Wind auch ordentlich weht.

Weder Grundlastfähigkeit noch Stromnetzstabilität gewährleistet

Habeck will den Anteil erneuerbarer Energien beim Strom bis 2030 von 40 auf 80 Prozent steigern. Das bedeutet, daß die Stromerzeugung durch die unsteten Quellen Wind und Solar sowie das kaum ausbaubare, aber verläßliche Biogas innerhalb von acht Jahren von 240 auf 600 Terawattstunden (TWh) zu erhöhen. Wobei Habeck lediglich mit einem Anstieg des Gesamtstrombedarfs auf 750 TWh kalkuliert, was gemessen an den Elektrifizierungszielen (Autos, Heizung, Industrie) viel zu gering ist. In den unvermeidlichen Dunkelflauten soll als Ausgleichsenergie für Solar- und Windkraft ausschließlich Gas eingesetzt werden. Gleichzeitig droht Parteifreundin Annalena Baerbock dem Erdgaslieferanten Rußland mit Sanktionen. Für teures Flüssiggas (LNG) gibt es keine Hafeninfrastruktur.

Habecks 37seitiges Begleitpapier zu seinem Klimaplan ist an verschiedenen Stellen auch schlicht falsch. Denn ein Kapazitätsanteil von 80 Prozent und mehr an Windrädern und Solardächern garantiert weder Grundlastfähigkeit noch Netzstabilität – im Gegenteil: Bereits heute reichen die sehr genauen Wetter- und Produktionsprognosen nicht, um ohne Ausgleichsenergie die Stromnetze vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Diese Situation verschärft sich mit jedem abgeschalteten Kern- und Kohlekraftwerk. Und würde es Habeck gelingen, seine Pläne umzusetzen, müßten die europäischen Nachbarn regelmäßig die deutschen Netze mit ihren „umweltfeindlichen“ Stromlieferungen stabilisieren.

Dieses Szenario erscheint allerdings unwahrscheinlich, denn die Pläne, die Habeck ambitioniert nennt, sind kaum durchführbar. Auch bei einer Effizienzsteigerung der Windkraftanlagen ist es illusorisch, eine ansatzweise ausreichende Zahl an geeigneten Standorten für die geplanten Kapazitäten zu finden. Je nach Bundesland dauert zudem das Verfahren von Planung, Genehmigung und Bau von Windrädern sechs bis acht Jahre. Dies will Habeck durch drastische Eingriffe in den Naturschutz und die bisherigen Klagemöglichkeiten reduzieren. Abstandregelungen und Flächenausweisungen regeln allerdings die Bundesländer in Flächenordnungs- und Planungsverfahren.

Dabei mutet es wie ein schlechter Witz an, daß ein Minister, dessen Partei beispielsweise die Elbvertiefung bei Hamburg oder Straßen- und Industrieprojekte Jahrzehnte durch Klagen verzögert hat, jetzt Rechtswege der Bürger und Naturschutzverbände beschneiden will. Flächenländer wie Bayern haben bereits angekündigt, ihre restriktiven Anforderungen zur Freigabe von Flächen für Windräder nicht zu ändern. Die dort 2014 unter CSU-Chef Horst Seehofer eingeführte „10-H-Regel“ verlangt, daß der Windrad-Abstand zu Wohnhäusern mindestens das Zehnfache der Bauhöhe betragen muß – bei der Siemens-Anlage SWT mit sechs MW Maximalleistung wären das 154 Meter, also 1,54 Kilometer.

Die Kosten seiner Pläne verrät Habeck nicht. Lediglich in der Einleitung wird die Floskel des sozialen Ausgleichs bemüht, doch Klimawohngeld oder Mindestlohnerhöhung bedeuten: Wer knapp über dem Niedriglohn liegt, muß die Klimapläne der Ampel selber zahlen. Auch das private Kapital, das für den Komplettumbau der Energieversorgung mobilisiert werden soll, will eine Rendite klar über der Inflationsrate einstreichen – auch das ist vom Normalbürger zu zahlen. Sprich: Nur die ganz oben und die ganz unten müssen sich über „dieses große Projekt“ (Habeck) keine Sorgen machen.

 bmwi.de

Foto: Robert Habeck bei Pressekonferenz: Ein Klimawohngeld hilft dem Mittelstand nicht