© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/22 / 21. Januar 2022

„Sie haben Wohnraum? Wir mieten, wir zahlen!“
Wohnungspolitik: Auch die norddeutsche Provinz muß zunehmend Quartiere für Zuwanderer bereitstellen / Steuergeld dafür ist vorhanden
Dirk Glaser

Die Einwohnerzahl Deutschlands ist seit 2011 um drei Millionen auf 83,2 Millionen gestiegen. Und bei einer „einladenden Einwanderungspolitik“ (Annalena Baerbock) dürfte dieser Trend anhalten. Daher will die Ampelkoalition bis 2025 jährlich 400.000 Wohnungen errichten lassen. Das wären 94.000 mehr als 2020 fertiggestellt wurden und doppelt soviel wie vor zehn Jahren. Gleichzeitig soll aber die Bodenversieglung durch „wirksame Initiativen“ reduziert werden – schließlich hat sich die Fläche für Arbeiten, Wohnen und Mobilität von 40.305 Quadratkilometer (1992) auf 51.489 Quadratkilometer (2019) ausgedehnt, wie das Umweltbundesamt (UBA) klagt.

„So betrug der tägliche Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche in den Jahren 1997 bis 2000 im Schnitt 129 Hektar am Tag. Das entspricht etwa 180 Fußballfeldern. Demgegenüber ging der durchschnittliche tägliche Anstieg in den Jahren 2016 bis 2019 auf nur noch 52 Hektar zurück“, so das UBA. 2019 waren es nur noch 45 Hektar – und davon entfielen 43 Hektar auf neue Siedlungs- und nur noch zwei Hektar auf neue Verkehrsflächen. Laut Ampel-Koalitionsvertrag wird das „30-Hektar-Ziel bis spätestens 2030“ angestrebt – doch wie verträgt sich das mit dem Wohnungsbauprogramm?

Bauministerin Klara Geywitz (SPD) setzt daher auf ein altbewährtes Rezept: „Serielles Bauen“. Industriell vorgefertigt, müßten Wände und Decken nur auf eine gegossene Bodenplatte montiert werden, und im Handumdrehen grüßt das „Fertighaus“. Das senke die Kosten und Bauzeiten. Also Betonsilos 2.0? Nein, „serielles Bauen“ heiße nicht, daß „17stöckige Gebäude ohne Schalldämmung gebaut werden. Von den typischen Plattenbauten, die es ja überall in Deutschland gab, ist man inzwischen weit entfernt“, erklärte der Chef des Deutschen Mieterbunds (DMB), Lukas Siebenkotten, im SPD-Magazin Vorwärts.

Selbst wenn „nachhaltigere Baumaterialien wie Holz und Stahl“ eingesetzt würden, heißt das in der Praxis dennoch: Große Mehrfamilien- statt schmucke Einfamilienhäuser, denn nur so ist das 400.000er-Ziel auf begrenztem Raum ansteuerbar – wenn nicht fehlende Baukapazitäten, steigende Materialkosten und Lieferengpässe die riesigen Wohnungsbaupläne in der Realität ausbremsen. Doch Wohnungsnot ist längst nicht nur ein Phänomen von 77 deutschen Großstädten, wo laut gewerkschaftsnaher Hans-Boeckler-Stiftung 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen fehlen.

Selbst in der norddeutschen Provinz ist die „vielfältige Einwanderungsgesellschaft“ angekommen, wie kürzlich eine Reportage der Schleswiger Nachrichten aus dem Amt Kropp-Stapelholm (Kreis Schleswig-Flensburg) zeigte. Dort appellierte der Bürgermeister von Kropp an „alle Bürger“, die dem Amt von Berlin via Kiel aufgenötigten „Flüchtlinge“ unterzubringen. Daher lautet der Aufruf: „Sie haben verfügbaren Wohnraum? Melden Sie ihn uns, wir mieten!“ Dem Kreis wurden 2021 knapp 400 Aufnahmen zugewiesen, auf den Amtsbezirk entfielen 67. Im jüngsten „Notfall“ handelte es sich um eine sechsköpfige Familie von „Einreisenden“ aus dem Irak.

Am 16. November erhielt die Gemeinde Bescheid, daß die „Neubürger“ am 24. November einträfen und ihnen bis dahin eine „passende Unterkunft“ zustünde. Eine Zweizimmerwohnung wollte man ihnen, trotz leer gefegtem Wohnungsmarkt, keinesfalls zumuten. Doch für „frisch renovierte“ Drei- bis Vierzimmerwohnungen sind in der touristischen Schlei-Region Nettokaltmieten von 1.200 Euro fällig. Aber der künftige Hauptmieter ist solvent und sofort zahlungswillig: Es ist der bundesdeutsche Sozialstaat. Kann da ein gewinnorientierter Vermieter noch widerstehen?